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Georg Simmel über Nietzsche
Der Philosoph
und Soziologe Georg Simmel (1858-1918) beschrieb das Erkennen als
'freischwebenden Prozeß' und sah in der Wirklichkeit der Wissenschaft
ein Zweckgebilde des Vorstellens. Zunächst trat er für eine rein deskriptive
Moralwissenschaft ein, um dann unter dem Einfluß Goethes, Schleiermachers und
der Romantik - und sicher eben auch Nietzsches - eine normative Ethik des
'individuellen Gesetzes' zu entwickeln: Die tiefste sittliche
Forderung ist nicht auf das einzelne Tun, sondern auf das Gesamtsein der
Menschen gerichtet.
Er gilt als der eigentliche Begründer einer formalen Soziologie als der
Wissenschaft
'von den Formen der Vergesellschaftung, von den Beziehungsformen der
Menschen zueinander'.
Georg Simmel
Friedrich
Nietzsche
Eine moralphilosophische Silhouette(*)
»Alles, was tief ist, liebt die Maske«, sagt Nietzsche einmal. Anders aber, als er es geliebt hätte, ist ihm die Maske zum Verhängnis geworden.
Tief in die Reize eines spielenden, sprühenden, sinnlich bezaubernden Ausdruckes liegt der strenge Ernst seiner Gedanken eingebettet – zu tief offenbar, um an das Ohr der deutschen Philosophen zu dringen.
So erfuhr er das Schicksal aller derer, die mehr können, als einer traditionellen Berufsaufgabe genügen: daß über dem, was sie über die Aufgabe hinaus leisten, von vornherein bezweifelt wird, ob sie der Aufgabe selbst gewachsen wären.
Nietzsche ist von den Berufsdenkern nicht ernst genommen worden, weil er mehr konnte, als ernst sein.
Es spricht nicht für die Feinhörigkeit der deutschen Philosophen, daß sie bis in die jüngste Zeit hinein dem Denker Nietzsche verächtlich das Gehör verweigerten, weil ihn der Dichter Nietzsche mit dem Reize, der Fülle, der Freiheit seiner Formen für ihre Ohren übertönte.
Freilich, er hat kein »System« der Ethik gegeben; aber nicht nur, daß ihm bloß die äußerlichste Form desselben fehlt, zu der sich indes seine Aphorismen leicht und in den Hauptsachen lückenlos zusammenfügen ließen; sondern der Gedankenkern, zu dem jedes System doch nur Körper ist, und den schließlich die Geschichte des menschlichen Denkens allein aufbewahrt – liegt in voller Sachlichkeit und Klarheit vor, bereit, sogar auf Schulformeln gezogen und in die historisch-sachliche Entwicklung der ethischen Kategorien eingestellt zu werden.
Dies letztere nun – eine umgekehrte Popularisierung, könnte man sagen – will ich hier andeutend versuchen: die moralphilosophischen Leitsätze Nietzsches auf ihren schmucklosesten, fachgemäßesten Ausdruck zu bringen und so den Punkt festzulegen, den er in der Erkenntnis der sittlichen Dinge – oder in der Täuschung über sie – erreicht hat. – Wenn diese Einordnung Nietzsches in die geschichtliche Moralphilosophie also vor allem denen gilt, die ihn ex cathedra ignorieren oder deklassieren, so gilt sie auch seinen kritiklosen Anhängern gegenüber, die ihn als gelöst von der Kontinuität des menschlichen Geisteslebens ansehen, nicht ausdrückbar durch die bestehenden moralphilosophischen Kategorien, eine intellektuelle causa sui.
So begehen sie den umgekehrten Fehler, wie jene; beide Parteien weisen ihm einen Platz jenseits der historischen Entwicklung der Philosophie an, – die einen darunter, die anderen darüber -, während er erst in der Einordnung in diese den Platz findet, den er behalten wird, wenn er überhaupt einen behält. (1)
Der grundlegende Gedanke Nietzsches ist der: im Lauf der Geschichte, insbesondere seit dem Christentum, hat die Majorität, die naturgemäß aus den Schwachen, Mittelmäßigen, Unbedeutenden besteht, die äußere und innere Herrschaft über die Minorität der Starken, Vornehmen, Eigenartigen erlangt.
Teils als Folge und Ausdruck, teils als Ursache davon sind die ursprünglichen moralischen Werte völlig umgewandelt worden.
Es war, wie die Sprachgeschichte zeigt, ursprünglich »gut« zu siegen, zu herrschen, seine Kraft und Vollkommenheit erfolgreich, wenn auch auf Kosten Anderer, zu entfalten; der Schlechte war der Unterliegende, der Schwächliche, der Unvornehme.
Diesen Wertgegensatz haben die demokratisch-altruistischen Tendenzen, wie sie am klarsten im Christentum herrschen, umgeprägt: gut ist jetzt der Selbstlose, der auf das Sich-Durchsetzen verzichtet, der für andere, für die Schwachen, Armen, Untenstehenden, lebt; ja diese selbst, die Leidenden, Entbehrenden, Zukurzgekommenen, sind die eigentlich »Guten«, die Seligen, derer das Himmelreich ist.
Und die begreifliche Folge davon ist, daß selbst die Starken, die von Natur Befehlenden, die innerlich und äußerlich Unabhängigen sich nicht mehr natürlich und unbefangen, sondern nur noch mit schlechtem Gewissen ausleben – vor dem sie sich retten, indem sie sich selbst nur als Ausführer höherer Befehle gebärden, der Autoritäten, des Rechts, der Verfassung oder gar Gottes; so heucheln die, welche herrschen, die Tugend derer, welche dienen.
Diese Wendung der sittlichen Interessen nach unten, diese Wandlung der sittlichen Würde: daß sie nicht mehr der Steigerung des Lebens, seiner Fülle, Schönheit, Eigenart zukommt, sondern dem Verzicht zugunsten des Schwächeren, der Hingabe des Höheren an den Tieferen – muß unabwendlich eine Herabstimmung, Vermittelmäßigung des allgemeinen menschlichen Typus zur Folge haben.
Das Herdentier Mensch ist dadurch, daß es sich selbst, nämlich die Majorität, die Unterdrückten, die Zukurzgekommenen, zum Sollensinhalt der höheren und höchsten Exemplare gemacht hat, zum Sieger über diese geworden.
Während der gesunde Lebensinstinkt auf Wachstum, Häufung von Kräften, Willen zur Macht geht; während nur der Gehorsam gegen diese Antriebe die Gattung ins Höhere entwickeln kann, sind durch die Umlegung der Ideale nach unten die Instinkte und Kräfte verstümmelt worden, die die Gattung nach oben treiben.
Die christlichen, altruistisch-demokratischen Wertbegriffe wollen den Starken zum Diener des Schwachen, den Gesunden zum Diener des Kranken, den Hohen zum Diener des Niederen machen; und in dem Maße, in dem dies gelingt, verkümmern die Führenden auf das Niveau der Masse, und alle scheinbare Sittlichkeit der Güte, Herablassung, Hingabe, Entsagung bringt eine immer tiefere Heruntersetzung des Typus Mensch und seiner oberen, aufwärts gehenden Werte mit sich. –
Auf dieser geschichtspsychologischen Grundlage erheben sich nun die systematischen Wertbegriffe Nietzsches, deren Bedeutung übrigens von der historischen Wirklichkeit jener Entwicklung unseres Geschlechtes ebenso unabhängig ist, wie die Rousseausche Lehre sich in ihrer sachlichen Bedeutung ganz gleichgültig dagegen verhielt, ob die Entwicklung von dem Natur- zum Kulturzustand historisch so, wie er sie schilderte, stattgefunden hatte.
Als den systematischen Ausgangspunkt dieser Werttheorie kann man die Lehre von der natürlichen Distanz der Menschen untereinander ansehen.
Die Natur hat Unterschiede zwischen die Menschen gelegt, die alle sittlichen Ideale demokratischer und sozialistischer Art zu Widernatürlichkeiten machen.
Ist Wachstum der Energien, Verfeinerung, Aufwärtsbildung – als Fortsetzung des Weges, den die natürliche Züchtung uns führt – das Ideal der Menschheit, so nähern sich offenbar immer nur einzelne bevorzugte Individuen demselben, Pioniere, die sich nicht an das Tempo der Masse binden.
Der Mensch jedes gegebenen Entwicklungsstadiums muß zu Gunsten eines höheren überwunden werden; aber dies ist nur um den Preis möglich, daß Unterschiede zwischen den Menschen seien, daß der Höchste vorschreite, ohne seine Kraft in die Niederen zu verschwenden; und je schneller, höher der Fortschritt, desto größer die Distanz der Vorschreitenden zu dem großen Troß.
Ohne Differenz zwischen den Menschen, ohne den Mut der Höheren, sich über die Unteren zu erheben und eine Rangordnung der Individuen nach Werten zu schaffen – ist der Fortschritt zu jenem Ideale der Erhöhung des Menschen unvollziehbar.
Mit diesem Werte der distanzierenden Abstufung unter den Individuen, als Grundlage jeder entwickelungsfähigen Ordnung, verbindet sich unmittelbar eine weitere Wertsetzung.
Bisher hat man die Summe der über viele Einzelne verteilten eudämonistischen, kulturellen, charakterologischen Werte als den Wert eines gegebenen Zustandes schlechthin angesehen, sozusagen durch Multiplikation der Breitendimension mit der Höhendimension der Werte ergab sich die absolute Bedeutung jeder Existenzform, Ordnung oder Handlungsfolge.
Demgegenüber entscheidet für Nietzsche ganz allein die Höhe des höchsten überhaupt erreichbaren Punktes über jeglichen Wert einer gesellschaftlichen Gruppe.
Nicht daß tausend Menschen ein mittleres Maß von Behagen, Freiheit, Kultur, Stärke besitzen, erscheint ihm wertvoll; sondern daß wenige, oder allenfalls nur ein einziger ein exzessives Maß dieser Werte und Kräfte in sich darstelle, selbst um den Preis, jene Tausend damit in die äußersten Tiefen hinabzudrücken – das ist ihm der Sinn, der ideale Endzweck der Gesellschaft.
Den jeweiligen Typus Mensch bestimmt ihm nicht der Durchschnitt der Menschen, sondern die jeweils höchste Spitze, die das Menschentum erreicht hat. (2)
Jene Höhendifferenz zwischen den Menschen besitzt sogar einen Eigenwert.
Wie hoch nämlich auch, absolut genommen, das allgemeine Niveau einer Gesellschaft sei, so besteht doch aller Wert ihrer gerade in der Höhe über diesem Niveau, in die sich Einzelne erheben.
Man könnte dies, ganz frei, so ausdrücken: das Durchschnittsniveau einer Gruppe ist weder hoch noch tief, vielmehr erst die Basis, von der aus Höhe oder Tiefe entstehen kann.
Wie dasselbe also an und für sich ist, ist völlig gleichgültig; Höhe, Bedeutsamkeit, Adel gibt es erst in dem Maße, in dem Distanz einzelner von jenem Niveau vorhanden ist.
Die aristokratische Distanzierung ist also nicht nur, wie nach dem Bisherigen, der technisch-historische Ursprung für die Entstehung ausgezeichneter Menschen, sondern die logisch-begriffliche, also unbedingte Bedingung irgend eines Wertes innerhalb der Gesellschaft.
Die quantitative, richtiger: numerische Beschränkung der Wertpunkte des Lebens ist erforderlich, um seine Wertsumme zu steigern, ja hervorzubringen.
Hieraus verstehen wir denn nun im Tiefsten jene prinzipielle Wertsetzung, daß er den Wert des Ganzen an der Höhe seiner höchsten Exemplare mißt – gleichsam eine umgekehrte Theorie des 'Grenznutzens.'
Dies ist eine sehr merkwürdige Wendung des sittlichen Ideals vom Subjektiv-Menschlichen in das Objektive.
Denn nicht, wie oft derselbe Grad irgend eines Wertes sich individuell wiederholt, erscheint hier der Beachtung würdig; sondern nur, daß der betreffende Wert überhaupt einen maximalen Grad erreiche.
Die höchstmögliche – im Gegensatz zu der möglichst breiten – Verwirklichung der Ideale der Stärke, Vornehmheit, Schönheit, Denkkraft, Milde ist das Entscheidende; demgegenüber es völlig gleichgültig ist, wie viele individuelle Leben, subjektives Leid, Opfer durch Härte und Unterdrückung es kostet, jene Höhe der Ideale einmal in objektive Wirklichkeit zu rufen.
Man könnte sagen, daß Nietzsche jenen Kantischen Rigorismus, der die eigentliche Sittlichkeit erst in der schmerzhaften Überwindung der niederen Seelentendenzen hervortreten läßt, von den Verhältnissen innerhalb der Einzelseele auf das Verhältnis zwischen den Menschen überträgt: nur um den Preis unzähliger Rücksichtslosigkeiten und Grausamkeiten, nur durch die strengste Züchtung und Auslese können die höchsten Blüten der Idealverwirklichung sich zeigen.
Man könnte andererseits eine Verwandtschaft mit Plato heraushören.
Daß die unpersönliche Idee, daß das Objektiv-Gute realisiert werde, fordert Plato im Gegensatz zu aller anthropologischen Ethik; und um dessentwillen kommt es ihm nicht darauf an, die Majorität aller Menschen seines Idealstaates in Unselbständigkeit und Unentwickeltheit hinabzudrücken.
Dies eben ist das ethische Interesse Nietzsches: daß überhaupt das Ideal dargestellt werde, so hoch und vollendet wie möglich, völlig gleichgültig gegen den anthropologischen Unterbau, gegen die subjektiven Bedingungen, über die es sich erhebt.
Mit dieser reinen Sachlichkeit der Wertmessung verträgt es sich nun aber durchaus, daß die von Nietzsche anerkannten Ideale ihrer Darstellbarkeit, sozusagen ihrer Technik nach, rein personaler Art sind.
Jene Qualitäten: Gesinnungsgröße, Schönheit, Vornehmheit, Denkkraft, Herzensreinheit, Willensstärke entlehnen ihre Würde nicht von den Folgen, die von ihnen ausstrahlen, sondern die dadurch qualifizierte Persönlichkeit ist an und für sich das Wertvolle; wenngleich ein bestimmtes Handeln sich unvermeidlich aus ihr ergibt, so bildet doch nicht das operari, sondern das esse der Persönlichkeit den eigentlichen zentralen Wertpunkt.
Diese, in ihrer haarscharfen Nuancierung allerdings nicht leicht zu fassende Wertbestimmung ist doch das Entscheidende für das Verständnis der Originalität von Nietzsches Moralphilosophie.
Er stellt eine höchst eigenartige Kombination dar: einerseits eine rein objektive Wertung, eine ausschließliche Schätzung aller sozialen Existenz nach dem höchsten Teilstrich, den ihr höchstes Element an der nach dem absoluten Ideal gerichteten Skala erreicht – andererseits eine ebenso ausschließliche Bindung dieser Werte an die Persönlichkeit, derart, daß sie nur als Eigenschaften und Energien dieser die definitive, nicht weiter definierbare Qualität des »Wertes« besitzen, nicht aber dadurch, daß erst die Folgen dieser persönlichen Bestimmungen ihr jene Qualität verliehen.
Dieser ethische Personalismus ist aber absolut kein Egoismus oder Eudämonismus.
So wenig sich der Wert der objektiven Idealqualitäten an ihren Wirkungen für die Empfindungen anderer mißt, so wenig an den Wirkungen auf das Subjekt selbst.
Da er hierin schlimmer als in irgend einem anderen Punkt mißverstanden worden ist, führe ich einige entscheidende Stellen an.
Der vornehme Mensch muß »seine Vorrechte und deren Ausübung unter seine Pflichten rechnen« (Jenseits, 252)-
»Trachte ich denn nach Glück?«, fragt Zarathustra; »ich trachte nach meinem Werke« (Zarathustra, 472).
Freiheit bedeutet: »Daß man gegen Mühsal, Härte, Entbehrung, selbst gegen das Leben gleichgültiger wird; daß die männlichen, die krieg- und siegesfrohen Instinkte die Herrschaft haben über andere Instinkte, z. B. über die des Glückes.
Der freigewordene Mensch tritt mit Füßen auf die verächtliche Art von Wohlbefinden, von dem Krämer, Christen, Kühe, Weiber, Engländer und andere Demokraten träumen« (Götzendämmerung, 88).
»Man soll nicht gemessen wollen, wo man nicht zu gemessen gibt.
Und – man soll nicht genießen wollen« (Zarathustra, 288).
»Ob Hedonismus, ob Pessimismus, ob Utilitarismus, ob Eudämonismus: alle diese Denkweisen, welche nach Lust und Leid, d. h. nach Begleitzuständen und Nebensachen den Wert der Dinge messen, sind Vordergrundsdenkweisen und Naivitäten, auf welche ein jeder, der sich gestaltender Kräfte bewußt ist, nicht ohne Spott, auch nicht ohne Mitleid herabblicken wird. –
Nur die Zucht des großen Leidens hat bisher alle Erhöhungen des Menschen geschaffen.« Jenseits, 171 f)
Der Kampf der Kirche gegen Sinnlichkeit und Lebensfreudigkeit ist verständlich und relativ berechtigt, insoweit es sich um Degenerierte handelt, »welche zu willensschwach sind, um sich ein Maß in der Begierde auflegen zu können«. (Götzendämmerung, 24)
Denn »Wollust ist nur dem Welken ein süßlich Gift, für die Löwen-Willigen aber – der ehrfürchtig geschonte Wein der Weine' (Zarathustra, 272)-
Und wenn er mit der »Nächstenliebe ins Gericht geht, so ist es, weil er sie für eine schlecht verkleidete Eigenliebe hält«. »Höher als die Liebe zum Nächsten ist die Liebe zum Fernsten und Künftigen – die Ferneren sind es, welche eure Liebe zum Nächsten bezahlen«; und höher noch als die Liebe zu Menschen stehe die zur Sache und zum Ideal (ib. 84). –
Daß man in dieser Lehre einen Epikuräismus und Zynismus erblickt hat, gehört zu den wunderlichsten Augentäuschungen in der an derartigen optischen Erscheinungen nicht armen Geschichte der Moral.
Es gibt gar keinen strengeren Richter gegenüber allem Anarchistischen, Zuchtlosen, Weichlichen, als Nietzsche ist; alle Dekadenz, der die Gegenwart verfallen sei, sieht er ja gerade darin, daß die Strenge gegen sich wie gegen andere, die harte Zucht, die Ehrfurcht und Autorität, vor der Gleichmacherei, vor dem unvornehmen, unidealen Streben nach dem Glück Aller verschwunden sei.
Gewiß predigt er Selbstsucht: d. h. daß der Hohe, Führende, Vornehme »auf sich halte«, daß er die Eigenschaften, die ihn zum Führer und zur Leuchte machen, nicht durch Weichherzigkeit verderbe, die dem momentanen Impulse um den Preis der dauernden Werte nachgibt; daß er die innere Distanz gegen die Tieferen auch äußerlich aufrecht erhalte, um nicht auf das Niveau jener herabgezogen zu werden und so seine höchsten Werte zu deklassieren.
Aber alles dies ist nicht Willkür, nicht Genußfrage; sondern immer und immer wieder betont er, daß die Verantwortlichkeit in dem Verhältnis der Rechte stiege; das Leben in der Höhe würde immer strenger und härter, immer verantwortungsreicher.
Sein Individualismus oder Personalismus ist so wenig Egoismus, daß er gerade der Pflicht zuerst ihre Form gibt.
»Der vornehme Mensch denke nicht daran, seine Pflichten zu Pflichten für jedermann herabzusetzen.« (Jenseits, 252)
Der ganze Sinn seiner vorgeblichen Selbstsucht ist also nur die Erhaltung der höchsten personalen Werte, um derentwillen er ebenso die unnachgiebigste Strenge sich selbst wie den anderen gegenüber fordert.
»Wer ein Erstling ist, der wird immer geopfert. Nun aber sind wir Erstlinge. – Aber so will es unsere Art; und ich liebe die, welche sich nicht bewahren wollen.« (Zarathustra, 288)
Und freilich predigt er Rücksichtslosigkeit, Härte, ja Grausamkeit: aber nur, weil sie ihm die Schule und Zucht scheinen, in der allein wieder die Stärke des Menschen erwachsen kann, die durch die Reduktion unserer Ideale und schließlich auch unserer Wirklichkeit auf die Interessen des Durchschnitts, der Allgemeinheit, verloren zu gehen droht.
»Man muß es nötig haben, stark zu sein, sonst wird man es nie.« (Götzendämmerung, 89).
»Ihr sollt es immer schlimmer und härter haben: so allein wächst der Mensch in die Höhe, wo der Blitz ihn trifft und zerbricht: hoch genug für den Blitz!« (Zarathustra, 417) –
Freilich predigt er den Kreuzzug gegen die »Guten und Gerechten« und verherrlicht die »Bösen«: aber nur, weil der Begriff des Guten ihm nicht den Guten schlechthin bedeutet, sondern den Guten, den eine bestimmte historische Entwicklung zu einem solchen geprägt hat, nämlich diejenige, die in der Herabbiegung des Hohen zum Niedrigen, des Führenden zu der Herde, des Ausnahmemenschen zum Durchschnitt, des Gesunden zum Kranken ihr Ideal sieht.
Unsere Moral, die das Wohl der Meisten zum Ziel hat, – so betont er fortwährend – ist nur eine Art Moral, der man sehr wohl eine andere entgegensetzen kann, d. h. eine andere Art »gut« zu sein; was wir jetzt böse nennen und was aus seinem bloß historisch-relativen Charakter zu einem absoluten, analytischen Ausdruck für das schlechthin Nichtsein-sollende emporgewachsen ist – das ist zum großen Teil auf sich selbst ruhende Kraft, die innere Unabhängigkeit, der Mut zu allem Kühnen und Eigenartigen, kurz dasjenige, dessen es als formaler Eigenschaften vor allem bedarf, um das Leben auf höhere Stufen zu führen.
Weder mit meiner Darstellung der Nietzscheschen Grundlehren noch mit dieser Verteidigung seiner gegen die Anklagen auf Zynismus und eudämonistischen Egoismus sollte behauptet sein, daß er sachlich recht hätte.
In Bezug auf seinen Kerngedanken ist eine solche Behauptung auch, ebenso wie die entgegengesetzte, überhaupt unmöglich – insofern sie wissenschaftlich, und nicht praktisch sein soll, – weil sie das letzte, also der Diskussion nach tiefer liegenden Entscheidungspunkten nicht mehr unterliegende Fundament der Ethik betrifft.
Alle sonstigen ethischen Zielsetzungen von individueller, ästhetischer, religiöser Art, führten, wenn sie auch eben nicht positiv sozial waren, doch mittelbar dahin, daß sich bei ihrer Erreichung auch die Mitmenschen, die Gesamtheit am besten befände.
Aus diesem Umstand entlehnten sie alle zusammen das Kriterium ihrer Dignität, es war ihnen der Beweis und die Rechtfertigung des Prinzips.
Hier wird zum erstenmale in der modernen Ethik das Kriterium selbst ein anderes; die Steigerung der Kraft, der Schönheit, der Distanzierung zwischen Mensch und Mensch wird hier zum Selbstzweck und entlehnt ihre Würde nicht erst davon, daß diese Steigerung anderen als ihren Trägern selbst zu Gute kommt.
Während sonst die Bedeutung des einzelnen dadurch sittlich gerechtfertigt wurde, daß sie sich zurückwandte auf die anderen, auf das soziale Ganze, wird hier umgekehrt das zeitweilige Vorkommen der großen Menschen der Rechtfertigungsgrund für das Dasein der Niederungen der Menschheit.
Die Qualitäten des einzelnen, die ihre sittliche Würde bisher auf dem Umwege über die Allgemeinheit erhielten, besitzen sie nun unmittelbar, und die Allgemeinheit bedarf des Umweges über sie, um ihrerseits sittliche Würde zu besitzen.
Es ist eine Kopernikanische Tat.
Zentrum und Peripherie wechseln die Stellen.
War wirklich, wie Schopenhauer meint, das wesentliche Prinzip aller Moral: Neminem laede; imo omnes, quantum potes, juva – so sind alle bisherigen konstitutiven Ethiken nur vorgeschlagene Mittel zu jenem Endzweck, also rational diskutierbar.
Hier aber wird ein anderer Endzweck aufgestellt; nicht wie hoch oder tief eine Tat an einem anerkannten Maßstabe erschiene, sondern um den Maßstab selbst handelt es sich: nicht die Vielen oder die Alle, sondern die wenigen Höchsten – wenngleich nicht der auf sie selbst zurückschlagende egoistisch-subjektive Empfindungserfolg ihrer Qualität und Stellung – bilden den definitiven Zweck und Sinn des Lebens überhaupt.
Man mag dies empörend, gefährlich, unsittlich finden.
Allein es bedeutet jedenfalls einen derartigen Wechsel des Fundamentes der ethischen Beurteilung, daß eine eigentliche Widerlegung desselben vom entgegengesetzten Standpunkte aus unmöglich ist.
Denn diese könnte nur auf Grund von Kriterien erfolgen, deren Gültigkeit Nietzsche ja gerade ablehnt: des Gemeinwohls, der Glücks- oder Lebenssumme, des Kulturfortschritts usw.
Hier ist wirklich ein Letztes ausgesprochen, dem gegenüber es nur noch willensmäßige Verwerfung oder Annahme, aber keine verständnismäßige Diskussion mehr gibt, die sich wohl auf die definitiven Wertgefühle stützen, nicht aber diese von sich aus bestätigen oder widerlegen kann. (3)
Die ganze Frage nach der rein wissenschaftlichen Qualifikation dieser, wie aller Aufstellung wirklich letzter ethischer Prinzipien kann höchstens die sein: ob mit ihnen real-psychologische Motive, Tendenzen, Velleitäten, welche bisher unbewußt, undeutlich oder rein praktisch gewirkt haben, richtig beschrieben sind, ob das, was sie in unser Bewußtsein rufen, mit dem Tone der psychologischen Wahrheit anklingt.
Ob es aber im ethischen Sinne richtig oder falsch ist, ein sachlich gerechtfertigtes Sollen darstellt oder nicht – das ist durch keine intellektuelle, sondern nur durch eine Willenstat zu entscheiden, die als solche jenseits voll Wahr und Falsch steht.
Die Nietzscheschen Theorien erscheinen so klar und in sich geschlossen, daß es zu ihrem Verständnis keines Zurückgreifens auf seine persönlichen Schicksale bedarf; ihre Erklärung kann eine rein immanente, sachlich-moralphilosophische sein.
Andererseits halte ich es für irreführend, zur »Erklärung« seiner Schicksale, insbesondere seines schließlichen Irrsinns, auf den Inhalt seiner Theorien zurückzugehen; jene Tragödie vielmehr kann als eine rein somatische verstanden werden.
Dennoch, wenn man auch jede kausale Erklärung des einen durch das andere als schief oder unbegründbar ablehnt, wird man doch vielleicht hier und da einen Inhalt seines Bewußtseins erhaschen können, der der Zerstörung seines psychisch-somatischen Ich parallel ging.
So naiv es wäre, für die fortschreitende zerebrale Zerstörung nun Schritt für Schritt entsprechende Symbole in seinem bewußten Leben oder gar in seinen niedergeschriebenen Gedanken suchen zu wollen, so wahrscheinlich ist es doch, daß beide Reihen gelegentlich einmal auch an ihren erkennbaren Außerungen eine Parallelität zeigen.
Auf einen derartigen Parallelismus will ich hier hypothetisch hinweisen, ohne Zusammenhang mit dem Obigen und nur als besonders lehrreichen Fall einer inneren Tragödie, in der sicher mehr als ein Moralist seine innere Peripetie und seinen fünften Akt gefunden hat.
Nietzsche stellt eine merkwürdige praktische Wendung des Platonischen Gedankens dar: daß der Philosoph weder ein ganz Wissender noch ein ganz Nicht-Wissender sei.
Es fällt an ihm auf den ersten und oberflächlichsten Blick ein Selbstbewußtsein und Glauben an die Unvergleichlichkeit seiner Leistung auf, der sich oft krankhaft zuspitzt.
Das Selbstbewußtsein indes erfüllt ihn nur als Erkennenden, als den Lehrer neuer Ideale.
Ganz anders aber, ganz getrennt hiervon, ist das Verhältnis seines praktischen Selbst zu dem Inhalt seiner Lehre, zu seinem Ideale selbst.
Da hat er nicht nur die tiefe Bescheidenheit, die der vornehmen Natur gegenüber ihren idealen, d.h. ihrem anerkannten Über-sich, eignet (z. B. Zarathustra, 148); sondern er bewegt sich, wenn ich ihn richtig deute, in einem steten Konflikt zwischen dem Bewußtsein der Annäherung an den »Übermenschen«, d. h. an sein Entwicklungsideal des Menschen, und der grenzenlosen Entfernung von ihm.
Er schildert, wie er sich in seinen Träumen seinem Höchsten nähert, es erreichen zu können glaubt und davon einen ganz besonderen Anspruch an Glück in die Wirklichkeit mitbringt (Jenseits, 116).
Und dabei ist er sich bewußt, selbst ein Dekadent zu sein, den Zustand in sich darzustellen, den er, als Moralist, sozusagen als das radikale Böse perhorresziert.
Er strebt heraus und steckt doch darin; »was mich am tiefsten beschäftigt hat, das ist das Problem der décadence – ich habe Gründe dazu gehabt.« (Fall Wagner, I).
Von den Künstlern hebt er den typischen Irrtum hervor: als ob sie selbst das wären, was sie darstellen, ausdenken, ausdrücken, und führt weiter aus, zu welcher Verzweifelung einen diese ewige Unrealität und Falschheit des innersten Daseins treiben kann – in einem Tone, der auf persönliche Kenntnis dieser Diskrepanz schließen läßt.
Vielleicht wirkt sogar ein Ungenügen an seiner eigenen körperlichen Erscheinung mit, das ihm immer zum Bewußtsein bringen mußte, wie weit er, der auf das Physiologische so hohen Wert legt, von der Schönheit des Idealmenschen absteht.
»Im Steine schläft mir ein Bild, das Bild meiner Bilder. Ach, daß es im härtesten, häßlichsten Steine schlafen muß! Nun wütet mein Hammer grausam gegen sein Gefängnis. Vom Steine stäuben Stücke.« (Zarathustra, 122)
Und einen anderen Gegensatz seiner gegen sein Ideal: er kennt aus seiner Lehre heraus die Notwendigkeit der Härte, des kalten Über-den-Dingen-stehens – und wird doch in jedem Augenblicke von der Weichheit seines Empfindens, von der Macht der alten, altruistischen Instinkte wieder herabgelockt (Zarathustra, 223, 288).
»Ach Freunde, erratet ihr wohl meines Herzens doppelten Willen? Das ist meine Gefahr, daß mein Blick in die Höhe stürzt und meine Hand sich halten möchte – an der Tiefe. An den Menschen klammert sich mein Wille: mit Ketten binde ich mich an den Menschen, weil es mich hinaufreißt zum Übermenschen.«
Er beschreibt mit deutlichster Anspielung auf sich selbst, wie derjenige, der neue Ideale baut, doch innerlich noch von ihnen absteht, den alten anhängt und welche furchtbare Marter aus diesem Konflikt entsteht (Genealogie, 121); er schildert sich als einen Ringer, der zu oft sich selbst bezwingen mußte, der durch eignen Sieg verwundet und gehemmt wurde, und bezeichnet, im Gedichte, die Vollendung seines eigenen Wesens als Hochzeit von Licht und Finsternis (Jenseits, Nachgesang).
Diesen Dualismus, dieses abwechselnd oder vielmehr gleichzeitig positive und negative Verhältnis zu seiner eignen Forderung, charakterisiert er nirgends besser, als Genealogie 93, wo er nach einer dithyrambischen Schilderung des Übermenschen, in die Züge seines eignen Wesens unlösbar verflochten sind, sich plötzlich unterbricht, weil er sich nicht an dem vergreifen will, was nur einem Höhern, Stärkern als er ist, freistände.
Schopenhauer freilich ersparte sich derartigen Dualismus durch die einfache Erklärung, man könne vom Ethiker so wenig ein Leben nach seinen Lehren verlangen, wie vom Bildhauer eigene Körperschönheit.
Nietzsche dagegen scheint ganz in einer zerstörenden Form desselben gelebt zu haben: bloß philosophischer Gelehrter, Erkennender einer vorhandenen Wirklichkeit will er nicht sein, vielmehr Philosoph, Wertsetzender, Schaffender.
Allein er schafft die neuen Werte doch nicht mit der Tat, sondern nur in Gedanken, nicht als Übermensch, sondern eben als Philosoph, der erst den Übermenschen 'lehrt'.
Indeß, jene Repulsion von der bloßen Gelehrsamkeit, jene Mittelstellung zwischen einer Theorie und einer Praxis, bringt ihn innerlich in gefährliche Nähe des Übermenschen – so strebt er auch in seinem Eigenen, als Subjekt, diesem Ideal zu, er diskontiert es gleichsam in seinen Träumen, Aufschwüngen, Strebungen – und fühlt sich zugleich zurückgeschleudert, empfindet im gleichen Augenblick Annäherung, Verwandtschaft, Aufsteigen zu seinem höchsten Werte – und Entfernung, Zurückgestoßensein, Unüberwindbarkeit des Abstandes.
Dieses Doppelverhältnis zu seinem Ideal, wie es gerade aus der allertiefsten und leidenschaftlichsten Beziehung zu diesem entspringen kann, dieses Hin- und Hergerissenwerden zwischen dem positiven und dem negativen Wertpunkt der Existenz mag ihn innerlich zerrieben haben, oder mag wenigstens die Bewußtseinsseite jener tiefen Zerstörung seines Ich gewesen sein – an deren Geheimnissen wir ebenso voreilig rühren, wenn wir die Zerklüftungen seines psychischen Lebens als Folgen rein körperlicher Störungen bezeichnen, wie wenn wir sagen, daß sein Körper an seinen Gedanken zugrunde gegangen ist.
Anmerkungen:
(*)Erschienen in: Zeitschrift für Philosophie und philosophische Kritik. Neue Folge, 107. Band, Heft 2, 1896, S. 202-215.
(1)
Die folgenden Angaben sind sämtlich den nach 1882 erschienenen Werken
Nietzsches entnommen.
Diese zeichnen eine derart in sich geschlossene Weltanschauung, daß es zu ihrer
Darstellung im nicht biographischen, sondern rein moralphilosophischen
Interesse weder eines Einbeziehens der früheren, noch nicht in gleichem Maße
selbständigen Werke, noch des Wartens auf weitere Veröffentlichung seiner
Manuskripte bedarf.
Denn diese letzteren gehören entweder zu demselben Gedankenkern, oder, wenn sie
etwa noch ganz neue Theorien böten, würden sie jene Werke vom Zarathustra bis
zur Götzendämmerung um so mehr als ein selbständig dargestelltes Ganzes
erscheinen lassen.
(2)
An diesem Hauptpunkte der Nietzscheschen Wertlehre zeigt sich vielleicht klarer
als irgendwo sonst der Einfluß ästhetischen Empfindens.
Denn in der Kunst entscheidet sich allerdings der Wert einer gegebenen Epoche
nicht nach der Höhe der Durchschnittsleistungen, sondern allein nach der Höhe
der höchsten Leistung; nicht die Summe des Achtbaren, sondern gerade der
Abstand des Hervorragendsten von diesem bloß Achtbaren mißt die Bedeutung der
Kunstepoche – während in allen sonstigen eudämonistischen, ethischen,
kulturellen Beziehungen bisher gerade der Durchschnitt, das Verbreitungsmaß
erwünschter Zustände den Wert der Epoche bestimmte.
(3)
Er setzt deshalb den »Philosophen« – unter dem er sich selbst versteht – in
einen entschiedenen Gegensatz zum philosophischen Gelehrten.
Dieser habe nur einen bisherigen Tatbestand festzustellen und in Formeln zu
bringen.
Der Philosoph aber ist der Befehlende, der Gesetzgeber, der neue Werte kreiert;
sein Erkennen ist Schaffen.
Er lehnt es direkt ab, nach dem Warum seiner Lehre gefragt zu werden.
»Im Grunde von uns gibt es etwas Unbelehrbares, einen Granit von geistigem
Fatum, von vorherbestimmter Entscheidung und Antwort auf vorherbestimmte
Fragen.
Bei jedem kardinalen Problem redet ein unwandelbares: 'Das bin ich'.«
(Jenseits, 182)
(4)
Die Maßlosigkeit seines Stolzes, die Überzeugung, der Erste der Ersten zu sein,
würde an sich noch keinen Hinweis auf einen pathologischen Zustand geben – in
der alten wie in der neuen Geschichte der Philosophie und der Reformideen ist
diese Höhe des Selbstbewußtseins mehr als einmal erreicht worden, ohne daß
darum Gehirnkrankheit vermutet würde.
Das Pathologische daran liegt bei Nietzsche, wie ich meine, nicht in dem
Quantum, sondern in den gelegentlichen Geschmacklosigkeiten der Außerung seines
Selbstbewußtseins.
Er ist sicher einer der größten literarischen Artisten aller Zeiten, der
Geschmack und die Vornehmheit seiner Ausdrucksweise ist, in Deutschland
wenigstens, unerreicht.
Daß ein Geist von derartiger ästhetischer Genialität sich durch seine –
berechtigte oder unberechtigte – Anmaßung zu direkten Geschmacklosigkeiten
hinreißen läßt (wie das Anpreisen seiner Bücher in diesen selbst oder der
abgeschmackte Versuch, seine Gesinnungswechsel nur als einen Maskenwechsel
darzustellen) – das ist allerdings ein bedenkliches Anzeichen von zerstörtem
inneren Gleichgewicht, bei dieser Naturanlage bedenklicher als das noch so
gesteigerte Messiasbewußtsein selbst.
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