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Levins Mühle ist Bobrowskis erster Roman, 1963 verfasst und im folgenden Jahr erschienen. Der Roman vereint einige sehr interessante entstehungsgeschichtliche Aspekte, die durchaus von Relevanz für die Rezeption sind. Daher möchte ich einleitend kurz die wichtigsten Fakten anführen.
Der Familienhistoriker Georg Bobrowski hatte Johannes Bobrowski am 8. Mai 1961 – dem in der DDR seinerzeit noch als Staatsfeiertag begangenen ‚Tag der Befreiung‘ – Schilderungen von Ereignissen zugesendet, die von Wilhelm Friedrich Ludwig Jahnke in einer Chronik beschrieben werden. Es wird dort von einem Vorfall von 1870 berichtet, bei dem ein gewisser Johann Bobrowski mit dem Stauwasser aus seiner Mühle vorsätzlich die Mühle eines Juden namens Lewin zerstört hatte.
Bobrowskis Antwort auf diesem Brief (vom 19. Juni 1961) enthält folgende Passage:
[D]as ist eine ganze Geschichte, unvergeßlich und fast ein Romanstoff nach der Art St. Reymonts. Aber für diese, für unsere Zeit kaum, weil solch ein Buch gleich mit vordergründigen Ressentiments behängt werden würde. Und die ganze Sache deswegen als ein Motiv nur behandeln und in eine unverfängliche Gegend versetzen, das könnte ich nicht, und es würde dann auch notwendig manches schief daran werden müssen, der Boden für solche Vorgänge war so, wie er im Bericht steht, und unter anderen Verhältnissen gar nicht möglich. Trotzdem, die Geschichte ist unvergeßlich, und also werd ich sie einmal – so oder so – vornehmen müssen.
Trotz dieser anfänglichen Zurückhaltung, den Bericht tatsächlich als Vorlage für einen Roman in Erwägung zu ziehen, hat sich Bobrowski noch am gleichen Tag bei Felix Berner über diese Geschichte erkundigt, und bereits Anfang August des gleichen Jahres hat er Recherchen über die Mechanik von Wassermühlen aufgenommen.[2] Die Arbeit am Roman wurde durch die Errichtung der Berliner Mauer (am 13. August 1961) für gewisse Zeit unterbrochen, aber aus den Briefen ist zu erschließen, dass sie im Herbst 1962 wieder aufgenommen wurde. Wieczorek zufolge wurde die Arbeit dann plötzlich Mitte Juli 1963 nach einigen Wochen hektischer Arbeit abgeschlossen.
Die Chronik von W. F. Ludwig berichtet, dass jener Johann Bobrowski vor Gericht für schuldig erklärt wurde, was ihn später in den finanziellen Ruin trieb hat und die gesamte Familie zur Auswanderung nach Amerika zwang. Während dieser Fall die Aufrichtigkeit des preußischen Rechtssystem demonstriert – der Kläger bekam recht, obwohl er jüdisch war -, versucht die Chronik selbst die starke und gut etablierte jüdische Gemeinde der Region als Verantwortliche für den Bankrott des Johann Bobrowski darzustellen. Weitere Informationen über die entstehungsgeschichtlichen Aspekte zu Levins Mühle kann man Eberhard Haufes Studien „Bobrowskis Weg zum Roman: Zur Vor- und Entstehungsgeschichte von Levins Mühle“ entnehmen.
Wie gewohnt, macht Bobrowski auch in Levins Mühle Gebrauch von der schriftstellerischen Freiheit, die er mit Hamann als das „Hausrecht des Autors“ zu bezeichnen pflegte. In seinem Roman reicht die Beweislage für eine Verurteilung von Johann nicht aus. Obwohl zahlreiche Personen dem Großvater das Leben in Neumühl schwer machen und er sich letztendlich dazu entschließt, seine Mühle zu verkaufen und in die Stadt nach Briesen zu ziehen, bleibt Levin mittellos und ist gezwungen, zusammen mit seiner geliebten Marie Neumühl zu verlassen.
Wenn wir in den Kurzgeschichten Bobrowskis Überlegungen über jeweils unterschiedliche Erzählkategorien und die Erprobung neuer Erzählmittel beobachten können , dann kann man Levins Mühle sicherlich als die logische Entwicklung und Erweiterung dieser Ansätze betrachten. Angefangen von der ersten Kurzgeschichte, Es war eigentlich aus, von 1961 scheint Bobrowski sein Augenmerk kontinuierlich auf das Erzählen selbst zu richten. Durch die Struktur der Texte und deren metadiegetische Ebene ist dies ein immer präsentes Thema. Fast möchte man sagen, dass neben seinem „großen Thema“ – die Deutschen und der europäische Osten - das Erzählen mit Sicherheit ein zweites stehendes Thema bildete.
Für die folgende Untersuchung zu Levins Mühle ist vor allem die Einleitung des I. Kapitels interessant. Obwohl Bobrowskis ausgesprochen selbstreflexive Erzähltechnik in den meisten Kurzgeschichten augenfällig ist (vor allem auf der metadiegetischen Ebene), erscheint gerade im ersten Roman eine umfangreiche, explizite Aussage zum Erzählprozess, ja sogar zum Entstehungsprozess und zum Anlass für den Text. Liest man etwa die Einleitung parallel zu Selbstzeugnissen wie Interviews und Briefen, könnte man sie durchaus als autobiographisch ansprechen. Ein sehr einleuchtendes Beispiel dazu gibt die folgende Passage aus dem Interview „Meinen Landsleuten erzählen, was sie nicht wissen“:
Das fing an, so wie die Geschichten bei mir alle anfangen: ohne Plan und ohne Überlegung einfach mit solch einem Spiel von Licht und Schatten Ich pflege Geschichten immer so anzufangen, ohne daß ich eine Handlung vor mir habe.
Nach kurzen moralischen Überlegungen des Erzählers darüber, ob er diese Geschichte erzählen soll (denn es könnte ja „auf die Familie zurückfallen“), führt er eine für den gesamten Roman entscheidende (auch metanarrative) Frage an – „aber wo befinde ich mich?“[11] Entscheidend deshalb, weil man den Roman selbst in gewisser Hinsicht als Antwort auf diese Frage auffassen könnte – denn er ist als Ganzes eine Auseinandersetzung Bobrowskis mit seinem eigenen Kulturerbe, mit dem deutschen Vermächtnis, mit der Schuldgeschichte der Deutschen etc. Er nimmt als Erzähler und Autor gleichzeitig eine besondere Stellung gegenüber seinen “Ahnen” ein, die als Figuren durch den von ihm erzählten Text ziehen. Die Frage nach dem Ort – aber wo befinde ich mich? – enthält also sowohl die familienhistorische Dimension der Verbindung des fiktionalen erzählenden Enkels mit seinem Großvater (und des Autors Bobrowskis zu seinem wirklichen Vorfahren) als auch die narratologische und metanarrative Dimension – von der Position des Erzählers, seiner Stellungnahme, seine politische, religiöse und soziale, oder kurz gefasst, seine ´kulturelle´ Position, die Anthony Williams treffend als „a viewpoint adopted that is central to, or in some way characteristic of, the society and culture in which the individual resides“.[12] Im Anschluss an die moralischen Überlegungen sagt der Erzähler:
Und mit dem Erzählen muß man einfach anfangen. Wenn man ganz genau weiß, was man erzählen will und wie viel davon, das ist, denke ich, nicht in Ordnung. Jedenfalls es führt zu nichts. Man muss anfangen und man weiß natürlich, womit man anfängt, dass weiß man schon und mehr eigentlich nicht, nur der erste Satz, der ist noch zweifelhaft.
Vergleicht man nun diese Überlegungen des Erzählers im Roman mit Aussagen des Autors Bobrowskis über eigene Schreibanfänge, etwa mit der oben angeführten Stelle aus dem Interview, dann sehen wir, dass sich diese Aussagen mit den hier eingeführten Überlegungen überlappen. Damit wird deutlich, dass die Handlung – von der ja zu der Zeit noch nichts ausgemacht ist und mit der es ja eben nicht anfängt – nicht der dominante und gleich gar nicht der alleinige Gegenstand ist. Das wird sich unten im Roman bestätigen, z. B. dadurch, dass Figuren im Text ad hoc eingeführt werden, aber auch durch die Offenheit und oft auch Ambivalenz von handlungsrelevanten Details.
Die bei Bobrowski häufig verwendete Form des „inszenierten Erzählens“ (oder eines Versuches dazu) bildet ein grundsätzliches Charakteristikum seiner Prosa. Dass es sich hierbei um ein „inszeniertes“ Erzählen handelt, sehen wir vor allem daran, dass der Erzähler in den Text immer wieder metanarrative Reflexionen über den Schreibprozess und damit verbundene Überlegungen einschaltet. Der Akt des Erzählens (und die inszenierte Suche nach einer dem Stoff angemessenen Ausdrucksform) wie die Fiktionalität, die Gemachtheit des Textes bleiben damit immer im Vordergrund. Alles dies wird durch das Prisma der Repräsentationsproblematik ständig auf verschiedene Weise thematisiert. Levins Mühle ist damit ein Text mit einer überaus vordergründigen Erzählillusion, die oft dazu eingesetzt wird, Realitätseffekte des Geschehens zu relativieren.
Der Untertitel des Romans lautet „34 Sätze zu meinem Großvater“. Die immer wieder eingeflochtenen Bemerkungen des Erzählers, dass dieser oder jener Satz nun einer der 34 Sätze oder auch ein „Nebensatz“ dazu sein solle, erinnern immer wieder daran, dass es sich hier um eine inszenierte Suche nach der richtigen Ausdrucksform handelt. Der Erzähler hinterlegt quasi für sich metanarrative Regiebemerkungen – Notizen und/oder Instruktionen, z. B. darüber, was noch „erzählt werden müsste“: „Jetzt müßte man erzählen: vom Mond, vom Wasser, wo die Mühle steht, wo das Stauwehr war, eine Mühle, aber die andere nicht mehr.“ Mit der ausgestellten Fiktionalität löst sich Bobrowski vollkommen von einem realistischen Erzählstil, obwohl – oder gerade – weil er vielerorts mit ihm spielt, und dies meist in einer ironischen und vielschichtigen Weise. Außerdem ist auch der „Episodencharakter“ des Romans ein Mittel, durch das „die erzählte Welt nicht als eine abgeschlossene, fertige, Objektivität suggerierende Sphäre erscheint. Vielmehr wird der Vorgang des Erzählens immer wieder zum Thema, ernsthaft und spielerisch.“ Diese Struktur bezeichnet Brian Keith-Smith sehr zu recht als „Mosaik“. Die dadurch ausgesprochen mittelbare, indirekte, sich an die ‚Handlungsgegenstände‘ herantastende Erzählweise bricht zusätzlich ständig jegliche Realitätseffekte , die der Text produzieren könnte. Diese durchgängige Verfremdung durch das Explizieren des Erzählvorgangs hat, ebenso wie die immer wieder ausgestellte Unentschlossenheit des Erzählers und die Form der Suche, zur notwenigen Folge, dass der fiktionale Charakter, die Künstlichkeit, auch die Modellhaftigkeit des Romans immer wieder durch implizit metafiktionale Aussagen hervorgehoben werden. Aussagen des Autors bestätigen diesen Eindruck. Hubert Faensen zitiert Bobrowskis Kommentar zu dieser Modellhaftigkeit aus einem Rundfunkgespräch beim Deutschlandsender, in dem der Autor den in Levins Mühle dargestellten Vorfall als „ein Modell für das Verhalten der Deutschen zu ihren östlichen Nachbarn“ bezeichnet.
Die gesamte Einleitung des Romans – immerhin zweieinhalb Seiten – besteht hauptsächlich aus metanarrativen Aussagen und Überlegungen. So dicht stehen diese im Fortgang des Romans natürlich nicht mehr beieinander, doch sind sie regelmäßig über den gesamten Text verstreut. Auch hier spielt der primacy effect eine bedeutende Rolle, der zur Folge hat, dass die Erzählillusion, die anfangs sehr stark eingeführt wird, von der später weiter ausgeprägten Geschehensillusion kaum relativiert wird und im gesamten Text sehr vordergründig bleibt.
Bei der Frage nach dem „Standort“ des Erzählers selbst, sieht sich dieser mit dem nächsten Problem konfrontiert:
Die Drewenz ist ein Nebenfluß in Polen.
Das ist der erste Satz. Und da höre ich gleich: Also war dein Großvater ein
Pole. Und da sage ich: Nein, er war es nicht. Da sind, wie man sieht, schon
Mißverständisse möglich, und das ist nicht gut für den Anfang. Also einen neuen
ersten Satz.
Die nächste Besorgnis des Erzählers gilt also der Rezeption des entstehenden Textes. Er rechnet mit einer Lesererwartung, die dieser vorläufige erste Satz in die falsche Richtung lenken könnte. In diesem Kunstgriff erkennt Andreas Degen eine intertextuelle Anspielung: „Das erzählerisch reflektierte Problem des „ersten Satzes“ ist Uwe Johnsons Roman „Das dritte Buch über Achim“ (1961) entnommen.“[20] Dann setzt der Erzähler zu einem neuen Versuch an, der einem anderen Erzählmodell folgt, mit einem Satz nämlich, der deutlich im Stil des Realismus verfasst ist:
Am Unterlauf der Weichsel, an einem ihrer kleinen
Nebenflüsse, gab es in den siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts ein
überwiegend von Deutschen bewohntes Dorf.
Nun gut, dass ist der erste Satz.[21]
Und dann ergänzt der Erzähler diesen Satz mit einer Beschreibung des Dorfes: „Nun müßte man aber dazusetzen, daß es ein blühendes Dorf war mit großen Scheunen und festen Ställen“. Etwas weiter heißt es:
Und ich müßte sagen, die dicksten Bauern waren Deutsche, die Polen im Dorf waren ärmer, wenn auch gewiß nicht ganz so arm wie in den polnischen Holzdörfern, die um das große Dorf herum lagen. Aber das sage ich nicht. Ich sage stattdessen: Die Deutschen hießen Kaminski, Tomaschewski und Kossakowski und die Polen Lebrecht und Germann. Und so ist es nämlich auch gewesen.
Den ersten Satz entschließt sich der Erzähler zu suspendieren (wohl, weil er zu direkt anmutet und zu offensichtlich einer „Partei“ gegenüber positiver gestimmt ist als der anderen) und will ihn durch den zweiten ersetzen. Der berichtigte Satz, der die polnischen Namen von Deutschen und die deutschen Namen von Polen nennt, führt einen thematischen Faden ein, der im Roman noch oft aktualisiert werden wird. Es ist die Frage nach nationalen Grenzen und Identitäten, die in diesem Fall eine interessante Wendung genommen haben: die „Deutschen“, die ihre Ahnen im polnischen Adel haben, tragen polnische Namen. Die Polen wiederum haben sich der deutschen Kultur assimiliert und tragen deutsche Namen. Dieser Satz spiegelt die Absurdität (die durch die Nationalitäten stereotypisch markierenden Namen der Figuren der jeweiligen Nationalität betont wird) der nationalistischen Streitigkeiten beider Seiten. John Wieczorek schreibt treffend zu dieser Passage:
[T]he narrator proposes a statement undermining the very concepts´German´ and ´Pole´. […] It is a confusion of names that threatens the one of the main foundations of nationalism – the assumed existence of distinct nationalities with distinct (linguistic) identities.
Den paradoxalen Charakter dieser Nationalitätsproblematik verstärkt die Tatsache, dass beide Parteien eigentlich polnischer Abstammung sind, und dieser Streit gründet auf kulturellen und konventionellen Diskrepanzen. Die Figurennamen werden von Bobrowski satirisch und funktional eingesetzt. Zum einen bezeichnen sie die Absurdität der scharfen Trennung zwischen Deutschen und „Polacken“, indem die Namen quasi vertauscht wurden – was schon in der angeführten Passage mit der Auflistung der deutschen und polnischen Namen eindringlich vom Text nahegelegt wird. Die „Deutschen“, die eigentlich polnischer Abstammung sind, haben ihre polnischen Namen behalten, um die Verbindung zu ihren adeligen Vorahnen zu demonstrieren. Die Namen der Polen wurden im Verlauf des Assimilierungsprozesses entweder freiwillig oder erzwungenermaßen eingedeutscht. Dies allein entspricht weitgehend der Situation zu der Zeit. Die Namen sind aber zugleich stark semiotisiert. Während die polnisch klingenden Namen der Deutschen von der Phonetik her auffällig stereotypisch auf eine polnische Herkunft hinweisen, erhalten die assimilierten Polen sprechende deutsche Namen. Die beiden, die in diesem auflistenden Satz aufgeführt wurden, sind auch gleich unter den beredtsten Beispielen – Lebrecht und Germann. Da diese beiden Figuren zum wohlhabenden Mittelstand der Dorfbewohner gehören, sind ihre Namen eine Anspielung auf ihr soziales Verhalten und ihre sozialen Bestrebungen. Deutsch sein bedeutet hier nicht nur eine nationale oder kulturelle (oder sogar historische – die gleich gar nicht!) Identität, sondern ‚deutsch sein‘ spielt im Roman vor allem die Rolle des damit verbundenen und überaus vorteilhaften gesellschaftlichen Status.[24] Denn hier, der Erzähler offenbart es in der Einleitung, handelt es sich um eine „deutsche“ Ordnung. Dies geschieht sowohl auf der diegetischen Ebene, z.B. mit dem Hinweis auf die unterschiedlichen Körpermaße der Deutschen und der Polen, als auch auf der strukturellen, z.B. mit der Anspielung auf das „deutsche Genre der Dorfgeschichte“. So kann man wohl bei Lebrecht und Germann von einer freiwilligen Assimilation ausgehen, die durch die Natur der gewählten Namen parodiert wird: Lebrecht und Germann – mehr „groß-deutsch “ geht es wahrscheinlich nicht. Auch die Namen der „Künstler“ – der Musiker und des Sängers – sind semantisch beladen – Habedank, Weiszmantel, Geethe.
Besonders in dieser frühen Passage mit dem „ersetzten“ Satz gewinnt man den Eindruck, als ob uns vom Erzähler Skizzen vorgezeigt werden, die als Grundlage für den Roman dienen sollen, und dann sehen wir seinem Entstehungsprozess zu. Zudem ist bei dieser Passage der letzte Satz sehr interessant, denn er kontrastiert sehr stark mit dem indirekten Stil, der von diesen metanarrativen Außerungen gestützt wird. Es ist wohl eine Art „Täuschungsmanöver“, das die betonte Fiktionalität des Textes etwas relativieren soll. Dies lässt sich in Zusammenhang bringen mit den Ansichten mehrerer bedeutender Narratologen, deren Theorien besagen, dass der Leser, um überhaupt Mitarbeit am Text leisten zu können, zumindest so tun muss, als ob er dem glaube, was ihm hier erzählt wird, auch wenn das Erzählte deutlich fiktiven Charakter trägt. Bobrowski scheint diese Einsicht zu teilen und spricht durch sein Erzählerreden gewissermaßen eine Art „Einladung“ aus, sich auf dieses Spiel einzulassen.
Auch scheint der Erzähler in der zu erzählenden Geschichte das Potential zur Brechung eines von Ideologien geleiteten erstarrten Blicks zu erkennen, den er hier „klarer Blick“ nennt, und zwar durch „Sachkenntnis“:
Feste Urteile hat man schon gern, und vielleicht ist es manch einem egal, woher er sie bekommt, mir ist es jetzt nicht egal, deshalb werde ich die Geschichte auch erzählen.
Nun fügt Bobrowski der Frage nach dem Standort des Erzählers eine neue Dimension hinzu – er verweist auf seinen faktischen Wohnort („einige hundert Kilometer Luftlinie westlich von jenem Weichseldorf“[28] – womit wohl Ost-Berlin gemeint ist) – wodurch er wiederum auf den Zusammenhang dieses fiktionalen Textes zu ihm selber als realem Autor hinweist.
Die nächste und vorläufig letzte Überlegung bezieht sich auf die potentielle Wirkung des Textes:
Und es könnte ja sein, daß es völlig nutzlos wäre, die ganze Sache jetzt zu erzählen, genau so nutzlos, wie wenn ich sie damals meinem Großvater aufgetischt hätte – später, als er in Briesen saß und noch immer genug hatte, als alter Mann dasaß in drei Zimmern und Küche, mit seiner Frau allein, mit den Kindern entzweit, die auch alle genug hatten für sich und ihrerseits die Entzweiung mit den Enkeln betrieben. Mit Erfolg, wie ich weiß. Und hier, wo die Einleitung zu Ende ist, abgeschlossen mit der Andeutung einer Besorgnis, von der ich hoffe, daß sie grundlos ist, fängt die Handlung an. Gewissermaßen der zweite Satz.
Die „Besorgnis“, von der der Erzähler hofft, dass sie grundlos sei, ist die Möglichkeit, dass diese „Geschichte“ keine Wirkung haben könnte. Als Grund für diese Besorgnis führt er dann die „betriebene Entzweiung“ zu den Kindern an. Die Kinder des Großvaters scheinen aus seinen Fehlern nichts gelernt zu haben und führen diese fort – „mit Erfolg“.
Vor allem an Bobrowskis Vortrag in der Evangelischen Akademie Berlin-Brandenburg, mit dem Titel Benannte Schuld – gebannte Schuld?, sind auch Überlegungen des Autors selbst über möglichen Wirkungen von Literatur (und deren Einschränkungen) ablesbar:
Literatur ist machtlos Da die Literatur dieser Zeit keine Massenwirkung hatte, und wann hat
Literatur das? – ist die Revolution von 1789 also eine
Intelektuellenrevolution. []
Veränderungen in der Gesellschaft – und
dazu gehört die Aufarbeitung der Vergangenheit – geschehen auf andere Weise,
nicht durch Literatur
Diese Überlegungen finden durchgängig Eingang in den Roman, denn gerade dem narrativen Versuch, die Einstellung und Ansichten des Großvaters zu verändern, wird ein beachtlicher Teil des Textes gewidmet – dazu gehören z. B. die Geistererscheinungen und die Versuche der Musikanten.
Da der Roman offensichtlich das nationalistisch-autoritäre Regime im Auge hat, wird diese Besorgnis auch implizit auf die Gegenwart des Autors gerichtet, der befürchtet, der Roman könnte eventuell nichts bei den herrschenden Zuständen oder gar bei den Lesern bewirken. Und Levins Mühle stellt natürlich ein Modell für die Ereignisse um den II Weltkrieg dar. Unter Anderen verweist auch Hermann Kähler auf den Modellcharakter von Levins Mühle für diese historischen Ereignisse:
Wie durch ein umgekehrtes Teleskop, verkleinert, aber verschärft, werden Praktiken, Verhaltensweisen, die in unserem Zeitalter gigantische Ausmaße erreichen, auf den Maßstab einzelner Individuen gebracht.[31]
Neben dieser eigentümlichen „Einleitung“ und den metanarrativen Passagen, die über den Roman verstreut sind, widerstrebt Levins Mühle einer vollkommen linearen Erzählung. Immer wieder werden Rückblenden oder Voraussagen zu anderen Ereignissen in den Roman eingeschleust, die Aspekte der Handlung erhellen, und es werden oft Leerstellen auf der Handlungsebene gelassen, die später im Text gefüllt werden oder auch nicht.
Ein auktorialer Erzähler ist durchweg im Text anwesend, der aber immer wieder „unentschlossen“ ist – sein Perzeptionsfeld wird oft dem der Figuren gleichgesetzt, und er ist keineswegs „allwissend“. Diese „Unwissenheit“ oder „Unentschlossenheit“ des Erzählers zeigt sich in der Beschreibung bestimmter Details, z. B. in der Szene, wo Levin in der Dunkelheit sitzt und der Erzähler sich nicht sicher ist, ob er sich die Hände über das Gesicht streifen lässt oder nicht, aber auch in größerem Maßstab in bezug auf die Handlung, wo sich der Erzähler unsicher gibt über den Fortgang der Geschichte, wie es sich schon im Einleitungskapitel zeigt.
Obwohl es ein typisches Merkmal der Prosa Bobrowskis ist, dass die Stimmen oder die Figurenrede oft nicht eindeutig einer bestimmten Figur zugeordnet werden kann und daher immer eine gewisse Ambivalenz anwesend ist, wird dieses Verfahren der Veruneindeutigung in Levins Mühle nicht so extrem betrieben wie später in den Litauischen Clavieren. Dennoch, auch wenn der erste Roman nicht annähernd so ‚aufgelöst‘ ist wie der zweite, so ist Levins Mühle doch weit davon entfernt, ein „geordneter“ Text zu sein, denn er scheint immerzu in den vielen Nebenhandlungen in die Länge und die Breite auszuschweifen.
Hier könnte man z. B. die „34 Sätze“ nennen als den Versuch, ein ordnendes Prinzip anführen – das angeblich das Ziel verfolgt die gesamte Geschichte auf diese 34 Sätze zu reduzieren, wobei kein Grund für diese genaue Zahl angeführt wird. Diese Wahl erhält keine logische und dem Leser mitteilbare Begründung. Es ist in Bezug auf den Roman selbst, eine willkürlich ausgewählte Zahl (was wohl ein satirischer Kommentar zum Ideologieprinzip ist). Intertextuell gesehen ist es sehr wahrscheinlich, dass die Zahl 34 eine Anspielung auf Jean Pauls „Leben Fibels“ ist, das in 34 Kapiteln verfasst ist und das Bobrowski während der Arbeit an Levins Mühle redigiert und zu dem er ein Nachwort geschrieben hat. Gleichzeitig ist es wohl auch eine Hommage an einen guten Freund von Bobrowski, an Günter Bruno Fuchs, die auf den Titel von dessen Roman „Krümelnehmer oder 34 Kapitel aus dem Leben des Tierstimmen-Imitators Ewald K.“ anspielt. Wenn man diese 34 Sätze isoliert betrachtet, dann bilden sie keine kohärente Erzählung. Ohne den Kontext des gesamten Romans haben sie kaum Aussagekraft. Zudem sind sie äußerst inkonsequent.
Schon beim ersten dieser Sätze, der bereits zitiert wurde, entsteht das erste Problem: der Erzähler überlegt, ob die erste Version des ersten Satzes vielleicht missverstanden werden könnte. Dann wiederum bedarf der neue erste Satz näherer Präzisierung – die Beschreibung des Dorfes. Der zweite Satz wiederum ist etwas zu lang. Auf Seite 60 erscheint dann plötzlich ein neues Ordnungsprinzip. Nun führt der Erzähler auch „Nebensätze“ ein und kommt gleich zum zweiten oder dritten (so ambivalent bleibt auch die Numerierung), während der erste „leicht herauszufinden ist“, jedoch nicht genannt wird. Auch von ihrem Inhalt und der Form her sind die Sätze sehr unterschiedlich, und auch ihre Länge schwankt stark. Während der 2. Satz mehrere Seiten zu umfassen scheint, lautet der 17. lakonisch: „Na also!“ Der 19. Satz tritt als solcher sogar mit einer Fußnote auf – der einzigen im ganzen Text, wodurch er so stark wie nur denkbar hervorgehoben wird: „Was ist da zu tun?“ Dieser Satz erscheint als rhetorische Frage des Erzählers, der sich über die ausbleibende Wirkung der Geistererscheinung auf den Großvater Gedanken macht. Es ist aber auch gleichzeitig eine Frage nach der potentiellen Wirkung des Romans, die schon in der „Einleitung“ vom Erzähler thematisiert wurde. Dann kommt der Erzähler auf Seite 147 explizit zu einer offensichtlich neuen Definition der „Sätze“:
Das ist nun vielleicht einer jener sogenannten Nebensätze, auf deren Zählung verzichtet wurde; Nebensatz deshalb, weil ihm zum Haupt- und Kapitelsatz zwei Charakterzüge fehlen: schlagende Kürze und, vor allem, Gefühl.
Die Einführung der Nebensätze wirft dann die Numerierung der „Sätze“ auseinander – Nr. 5 und 6 werden ausgelassen, und der nächste wird dann als der „7. oder 9.“ benannt.[39] Das heißt also, dass der Erzähler die Numerierung schon durcheinander gebracht hat, die auch ohnehin schon die Einführung der Nebensätze fragwürdig gemacht hat. Mitten im V. Kapitel entschließt sich der Erzähler, die Sätze nachzuzählen und sie wieder zu „ordnen“. Dies ist auch die eine Stelle im Text, in der explizit die Rede von der ordnenden Funktion dieser Sätze ist:
Aber ich denke, wir werden jetzt einmal die
bisherigen Sätze nachzählen, die Hauptsätze. Was die Nebensätze anlangt, da
erinnere ich mich nur an einen einzigen. […]
Die Hauptsätze also der Reihe nach. Weil wir mit der Zählung ein bißchen
durcheinander sind und es noch weiter gehen soll mit der Geschichte und ohne
Ordnung nicht weiter geht […]
Der nächste Satz heißt: Du taugst verdammt auch zu garnichts. Er ist als der
siebente oder neunte bezeichnet, und könnte auch durchaus der siebente oder
neunte sein, denn es gibt zwischendurch einige, allerdings nummerierte Sätze
[…].
Also nimmt sich der Erzähler vor, die Sätze wieder zu ordnen, doch im selben Atemzug muss er einräumen, dass die Numerierung schon auseinander ist. Sie wird hier intransparent. In dieser Passage wird auch die ordnende Funktion der „Sätze“ hervorgehoben: der Erzähler gibt vor, dass es ohne Ordnung nicht weiter ginge. Nachdem die Sätze dann für eine gewisse Zeit wieder in regelmäßigeren Abständen erscheinen, kommt der Erzähler mit ihnen zu langsam voran und ist gezwungen, zum Schluss vier der letzten Sätze nacheinander einzubinden:
Da stehen also noch vier Sätze aus. Hier sind sie:
Komm, wir singen.
In Gollub spielen die Zigeuner.
Wenn wir nicht singen, singen andere. []
Und dieses Philippische Nein, das soll gelten. Uns gilt es hier für einen
letzten Satz.
Also fügte sich die Geschichte dem Rhythmus der 34 Sätze nicht – sie waren zu langsam für die Geschichte. Diese angestrebte „Geordnetheit“ ist gescheitert, angefangen schon mit dem ersten Satz, und es entstehen immer wieder neue Probleme mit diesem Ordnungsversuch. In diesem Zusammenhang stimme ich der scharfsinnigen Schlussfolgerung Wieczoreks zu:
[I]t is in such a spirit that Levins Mühle is composed: written against all attempts to reduce the complexities of actual existence to a single or simple order. […] The prolonged play with the number thirty-four then becomes an example of an ordering structure doomed to fail.
Damit führt Bobrowski auf der Ebene der Erzählvermittlung das Misslingen (oder das Überwinden – je nach der Perspektive) eines derartigen ideologisch-weltordnenden, auf wenige Unterscheidungen reduzierenden Versuches zur Ordnung vor,[43] während auf der Handlungsebene die ideologisch gegründeten nationalistischen Unterscheidungen zum zentralen Konfliktauslöser werden. Eine tief aus dem biographischen Hintergrund wirkende Erfahrung solcher „Unterscheidungen“ wird von Christoph Meckel aus einem Brief Bobrowskis zitiert:
So ists im Augenblick. Westdeutsche können herüber, aber Westberliner nicht; es gibt da feine Unterschiede. Und wir können auch nicht. Das hat sich alles offenbar nötig gemacht und ist zu beklagen.
Ein weiterer Aspekt, der auf die Korrelation zwischen der Erzählvermittlung und der Handlungsebene verweist, ist die Gattungszuweisung. Diese ist nicht ganz eindeutig möglich, und ich denke, dass Bobrowski bewusst daran gearbeitet hat. Das Genre des Textes bringt eine Anspielung auf die thematischen Vorgänge. Levins Mühle erfüllt praktisch alle Charakteristika, um dem Genre der Dorfgeschichte, die vor allem im 19. Jahrhundert (also auch in der Romangegenwart) Verbreitung fand, zugeschrieben werden zu können.
Der Roman erzählt vom „Leben auf dem Lande“. Die Figuren sind Bauern und Dorfbewohner, in vielen Passagen erscheint die regionale Sprache und Dialekte, es gibt ausgedehnte Naturbeschreibungen, der Themenkreis scheint auf den ersten Blick bodenständig zu sein (abgesehen von den auffälligen metanarrativen Einschüben natürlich, die diese „Bodenständigkeit“ dann wieder entkräftet), der vordergründig behandelte zentrale Konflikt entwickelt sich zwischen der Oberschicht und der Mittelschicht oder den Bauern. Auch die Schilderung von Volksfesten, in Levins Mühle durch die Sommerwende repräsentiert, und von Kirchenfeiern (z. B. die Taufe, bei der der Großvater Pate steht) ist ein typisches Merkmal des Genres. David Scrase verweist darauf, dass dies vorwiegend ein deutsches Genre ist: „This [is] preeminently a German and preeminently ninteenth-century genre“. Doch zieht er die entscheidende Schlussfolgerung nicht. Bobrowski spielt hier wohl sehr gezielt auf ein ausgesprochen „deutsches“ Genre an, und zwar in dem zweiten Versuch des „ersten Satzes“, der schon zitiert wurde und der geradezu demonstrativ dieses Genre des 19. Jahrhunderts ansagt. Genau so „deutsch“ wie das Genre, auf das angespielt wird, ist auch die herrschende Ordnung in der Romanwelt. Jedoch liefert der Roman kein für dieses Genre zufriedenstellendes Ende, denn keine der Parteien – weder die des Großvaters, noch die von Levin (Polen, Zigeuner) – „gewinnt“. Selbst einen eindeutigen „Verlierer“ gibt es nicht. So wird auf der Ebene der Erzählvermittlung (Diskursebene) das Scheitern dieser (auch nationalistisch markierten) ideologischen ´Ordnung´ mit den angestrebten 34 Sätzen inszeniert.
Auch wenn es dem Großvater gelingt, alle seine „Feinde“ aus Neumühl zu vertreiben, allen voran natürlich Levin mit „dieser“ Marie, wird er von vielen Dorfbewohnern ausgespottet und verachtet, wobei der Höhepunkt die Zirkusveranstaltung mit dem abschließenden Lied Weiszmantels über „das große Wasser, dass zu Moses (Levin) gekommen ist“ sein dürfte. Dies veranlasst ihn letztendlich dazu, nach Briesen zu ziehen und die Mühle zu verkaufen. Ein weiterer Anstoß dazu, der vielleicht sogar noch wichtiger ist als die gesellschaftliche Reaktion auf die Tat des Großvaters, ist die Einsicht von Plontke und seinem betrunkenen „Kommando“, das die neue Gendarmerie in Neumühl darstellt, die gerufen wurde, um nach der Schlägerei beim Sommerwendfest die „Ordnung“ in der Gegend wieder herzustellen: „Es sind aber verflucht fröhliche Menschen, diese Polacken. Und so deutsch.“ Diese Einsicht, bedeutet nichts anderes als das Verwischen einer Grenze, um deren Festlegung der Großvater sich bemüht. Während gerade in diesem Satz eine Hoffnung für die Zukunft in Neumühl ausgesprochen wird (denn die Gendarmerie ist ein bedeutender Teil der herrschenden „Ordnung“), heißt es für den Großvater, dass er hier Boden verliert, denn nun haben diese Gendarmen das, was der Erzähler als einen „trüben Blick“ bezeichnen könnte.
Letztendlich stellt sich die in der Romanwelt herrschende „Ordnung“ als eine „unbewohnbare“ dar – unbewohnbar zumindest weder für den Großvater selbst, der ein eifriger Mitwirkender bei ihrer Verwirklichung gewesen ist, noch für Levin und Marie oder auch für Fellers Frau Josepha, die ihren Ausweg im Freitod sucht.
Der Roman impliziert keineswegs, dass dieses Modell – und als solches wird es sowohl von dem betont fiktionalen und künstlichen Erzählstil und der damit einhergehenden Struktur als auch durch einigen Passagen im Text ebenso gekennzeichnet ) wie vom Autor selbst – nur auf Deutsche bezogen wird. Auf sehr eindringliche Weise wird es auch auf die jüdische Gemeinde im Roman bezogen, nämlich in der Passage wo Levin und Marie nach Rozan gehen in der Hoffnung, sich dort niederzulassen. Auch in diese Ordnung finden sie keinen Eingang, und nicht nur deswegen weil Marie eine Zigeunerin ist. Bemerkenswerterweise eine jüdische Zigeunerin, was nur an einer Stelle im Text erwähnt wird, und es ist natürlich der Großvater, dem es bekannt ist und der dies sehr fein und differenziert behandelt:
Aber wer weiß, auch das schlüge ihm vielleicht auf die Galle, jetzt, wo er schon überall Feinde sieht: katholische Polen und polnische Juden und jüdische Zigeuner – da meint er diese Marie – und zigeunerische Italiener und, wer weiß, wen noch alles.
Jedoch werden, wie es im Text steht, keine Fragen gestellt und Marie wird von „Levins Leuten“ stillschweigend als Zigeunerin „identifiziert“:
Erst losrennen und dann wiederkommen, sagen Levins
Leute, aber freundlich und ohne zu fragen, der Leo wird schon ins Reden kommen.
Sie müßten ja auch sonst nach diesem Mädchen fragen. Der Leo wird schon
erzählen.
Levin hilft ein Paar Tage in der Gerberei, Marie auch.
Am Tag nach dem Schabbes sagt Levin: Ihr habt nicht gefragt, und ich habe nicht
geredet, so sag ich, wir gehen jetzt weiter, es ist hier nicht zu bleiben, für
uns.
Tante Perel sagt: Aber Kindchen, ihr könnt doch.
Was können sie, bleiben oder gehen, was denn nun?
Levin verneigt sich vor dem Tate. Der Tate legt ihm die Hände auf, er sagt:
Geh.
Marie wird im Text überwiegend nur mit dem bestimmten, demonstrierenden Artikel als „diese“ bezeichnet. Der Erzähler nimmt dabei wohl die Perspektive des Großvaters ein, aber erst zum Ende erfahren wir den Grund dieser spezifischen Form und auch, wessen Perspektive genau es ist. Eine Ausnahme machen natürlich die Zigeunern, ebenso wie Levin und die Deutschen, die nicht auf Großvaters Seite stehen. Das Demonstrativpronomen bezeichnet Distanz und Ausgrenzung. Sie wird schon sprachlich aus der (deutschen) Gesellschaft ausgeschlossen, und diese Sonderstellung verdankt sie natürlich ihrer in den Augen der herrschenden Ordnung äußerst ungünstigen Abstammung. Dass sie aber auch von „Levins Leuten“ nicht akzeptiert wird - obwohl keiner ja „redet“ oder Fragen stellt - lässt sich an der Wiederkehr dieses Pronomens in Rozan ablesen. Sie ist auch in dieser Ordnung „dieses Mädchen“.
Damit nimmt Marie eine Sonderstellung im Roman ein. Sogar unter den Außenseitern, den Grenzfiguren – also den Zigeunern und den Musikern (Künstlern) - ist sie noch einmal ein „Extremfall“, der durch den demonstrierenden Artikel immer wieder hervorgehoben wird. Sie ist keiner der Ordnungen angepasst und in keine dieser Ordnungen integrierbar.
Wie sich aber herausstellt, ist dies nicht der einzige Grund, warum Levin bei „seinen Leuten“ nicht bleiben kann – er ist „losgerannt und ist wiedergekommen“, heißt es. Obwohl auf den freundlichen Ton hingewiesen wird, relativiert diesen die Betonung von „wiederkommen“ und die Suspendierung von Fragen. Auch er wird sprachlich ausgegrenzt, was letztendlich durch des „Taten“ einzigen Satz, den er zu Levin sagt, deutlich wird: „Geh“. Damit ist auch Levin vollkommen ausgesondert.
So wird auf einer nicht halben Seite diese ausdifferenzierende und aussondernde Ordnung auch auf die jüdische Gemeinschaft bezogen. Paradoxerweise fasst Onkel Dowid diesen Sachverhalt kurz zusammen: „Es ist Trennung und ist keine Gemeinschaft“. Obwohl der Erzähler diesen bedeutenden Satz nicht zu den 34 Sätzen zählt, ist es sicherlich als eines der zentralen Themen des Romans aufzufassen.
Zwischen diesen beiden „Ordnungen“ halten sich Levin und Marie für kurze Zeit in eine Art Zwischenstation auf, nämlich in der Hütte von Jan Marcin und dem umgebenden Wald[52]. Diese Szene mutet an wie eine Anspielung auf eine Passage aus Kleists „Erdbeben in Chili“. Es gibt mehrere typologische Ahnlichkeiten, die diese Verbindung nahelegen. In beiden Fällen handelt es sich um eine Idylle, die wie der Garten Eden anmutet. Die Figuren, die sich hier versammelt haben - hergetrieben von einer Katastrophe, im Falle von Levin und Marie einer persönlichen – entkommen in diesem Raum aus den Regeln und Grenzen, die aus der herrschenden Ordnung hervorgehen, in der in beiden Fällen für das Liebespaar keine Existenz möglich ist. In diesem Innenraum ist die bestehende Ordnung gewissermaßen suspendiert. Im Falle von Kleists Text sind es die Institutionen des Gefängnisses und des Klosters, bei Bobrowski ist es die Aufhebung nationaler Relevanz und finanzieller Umstände. Auch in Kleists Novelle ist der Schauplatz für diese Szene eine Naturlandschaft. Es ist eine Rückkehr zur Ursprünglichkeit, zu einer archaischen Gesellschaftsform vor den Nationen, der auch ein anderes gesellschaftliches Zugehörigkeitsprinzip zu Grunde liegt – eines, das nicht auf historisch-kultureller oder biologischer Herkunft basiert ist. Das Archaische und Ursprüngliche wird in Levins Mühle z. B. mit dem Melken der Ziegen angedeutet sowie mit der sinnlichen Beschreibung der nassen, nackten Körper von Marie und Levin und später mit der Beschreibung der Hütte. Diese ist mit altem Moos abgedichtet ist, das sich Jan Marcin neu zu verdichten weigert, denn es ist ja, wie etwas früher im Text zu lesen steht, „seine Zeit“ . Und die Zeit steht hier still – außerhalb der herrschenden Ordnung, der daraus resultierenden gesellschaftlichen Restriktionen und Vorschriften. Dabei würde ich davon ausgehen, dass es keineswegs ein Zufall ist, dass Bobrowski diese Szene genau in die Mitte des Romans gesetzt hat – in das 8. von insgesamt 15. Kapiteln.
Es ist die einzige Passage im Roman, die eine ausgesprochen sinnliche Wahrnehmung schildert – genau wie es auch in den litauischen Clavieren der Fall ist, wo Potschka, aus seinem zweiten Traum erwachend, „nach den nassen Gräsern greift“ ).
Die Szene, wo Levin und Marie im Regen einander nackt betrachten, unbekümmert Regentropfen zählen, Levin beobachtet, wie die Schamhaare Maries dem Regen sich einfach nicht fügen, ist der Inbegriff eines im Roman erstmals erlebten Freiheitsgefühls und Unbekümmertheit. John Wieczorek macht die amüsante Bemerkung, die, obwohl vielleicht nicht entscheidend, jedoch trotzdem überaus scharfsinnig und originell ist, dass der Anblick dieser sich nicht fügen wollenden Schamhaare Maries dazu beiträgt, dass Levin neuen Mut schöpft, sich weiter einzusetzen. Als sie zurück in die Hütte gehen, sagt Levin: „Ich leb, sagt dieser Leo Levin, zum ersten Mal.“
Dieser Ort befindet sich außerhalb der (institutionellen, nationalen, sozialen und religiösen) Ordnungen und ihrer festgesetzten Grenzen, zwischen denen sich Marie und Levin zu bewegen versuchen. Deswegen ist auch der Gendarm Krolikowski hier blind, denn „er bemerkt nicht einmal die Kleider auf der Bank, er geht hinaus, er sieht gar nichts, steigt wieder auf und reitet eilig davon.“ Es ist ein Ort an dem sich „finstere Elementen“ versammeln, wie Krolikowski sie nennt, jedoch findet er hier nie welche. Statt der entlaufenen Gutsarbeiter und Schmuggler, die er sich einbildet, sind hier „andere Leute, aber, es ist kaum zu verstehen, warum immer nur andere“. Und was ihn blendet, sind eben die „festen Urteile“ und der „klare Blick“, eine ideologisch geleitete Wahrnehmung. Es ist klar, dass Krolikowski die großen (und blinden) Augen und langen (und tauben) Ohren der Gesetze trägt, über die Onkel Dowid mit einem Stock auf die Dielenbretter schreibt („Die niemand lesen wird“), denn Krolikowski repräsentiert hier das „Gesetz“, durch das die beiden in der herrschenden Ordnung von der „Gemeinschaft“ „getrennt“ waren und vor dem sie entflohen sind. Ohne Arbeit und Wohnsitz müssen Nicht-Deutsche das deutsche Dorf verlassen. Im Unterschied zu Marie und Levin, die „ihren Mund zu allem, nur nicht zum Reden“ haben (im Gegensatz zum Gesetz, das redet, aber nichts sieht oder hört), spricht Krolikowski gegen Jan Marcin einen Befehl aus – das einzige, was in dieser Szene gesagt wird. Wir werden dadurch an die Existenz dieser Gesetze und dieser Ordnung erinnert, doch bleiben sie hier vollkommen machtlos und „die Spuren dieses Reiters“ werden fortgewaschen. Das diese Aussagen Onkel Dowids gerade auf den Gendarmen Krolikowski und seine Rolle bei der Aufrechterhaltung dieser Gesetze gerichtet sind, erkennen wir daran, dass er „nichts sieht“ (dies evoziert die großen Augen), dass er als Gendarm das personifizierte Gesetz ist („das in unseren Stuben steht“ – in der Hütte Jan Marcins) und zu allerletzt an den „langen Ohren“, denn der Name Krolikowski beinhaltet die Anspielung auf „Królik“, was auf Russisch und auch auf Polnisch „Hase“ bedeutet. Wenn man die praktisch durchweg sprechenden Namen im Roman bedenkt, erscheint diese Parallele auch nicht als weit hergeholt.
Die etablierte Ordnung hat also kein „Organ“, das hier hineinreichen könnte, denn sie bedarf der festen Regeln und ihrer Befolgung. Ihre Machtlosigkeit erklärt sich durch das Fehlen dieser ideologischen, differenzierenden Grenzsetzungen, Unterscheidungen und Aussonderungen in diesem Raum, unter diesen Figuren.
Als Levin zu Marie sagt: „ich will hier nicht fort“, lautet ihre Antwort: „Morgen gehn wir nach Hause.“ Was die beiden also veranlasst, diesen Ort zu verlassen, ist die täuschende Vorstellung, dass sie in die herrschende Ordnung zurückkehren können, dass sie dort ein „Zuhause“ haben und dass der Gerichtsprozess noch eine positive Wende für sie bringen könnte - dass die Ordnung verändert werden könnte also. Dasselbe widerfährt Jeronimo und Josephe bei Kleist, als sie sich entschließen, zusammen mit den anderen zum Gottesdienst in die Kirche zu gehen, um Gott für ihre Rettung zu danken. Ebenso scheitert der zweite Integrationsversuch von Marie und Levin – bei „Levins Leuten“ ihren Platz zu finden, während sie „zuhause“ eine abgebrannte Hütte erwartet.
Dieses Kapitel und die Szene bei Jan Marcin werden zu einer Art Achse für die Handlung des Romans. Für Levin und Marie könnte von hier an alles in beide „Richtungen“ gehen: sie könnten hier, außerhalb der herrschenden Ordnung, ihren Platz finden oder auch versuchen, sich in ihr zu behaupten.
Nach dem Ende des VIII. Kapitels spielt das XII. - auffällig kurze und damit betonte und sorgfältig von den anderen abgegrenzte - ganz am und im Haus Jan Marcins. In der Einleitung des Kapitels sagt der Erzähler folgendes:
Wir erzählen hier eine Geschichte. Es vergißt sich leicht. Wir haben zwanzig eingebracht, vierzehn stehen noch aus.
Wir werden damit wieder einleitend an die 34 Sätze erinnert, die wir, wie vorher angedeutet, als ein angestrebtes ordnendes Prinzip des Textes auf der Ebene der Erzählvermittlung definiert haben und daran, dass es sich hier um einen Erzählvorgang handelt.
Das Haus von Jan Marcin ist eine jener „anderen Welten“, von denen Onkel Dowid spricht. Dieser Ort wird zur Unterkunft aller „Außenseiter“, aller in die Ordnung nicht passender, ihr nicht angemessener Figuren. Wir haben hier eine anschauliche Aufzählung aller „Außenseiter“, die zugleich die wichtigsten Unterstützer Levins sind. Dieser Ort blieb der einzige Fluchtpunkt für Marie und Levin, doch nun finden wir hier mit ihnen die folgenden Figuren vor: den Zigeunerzirkus (also Scarletto, dessen Vater Jan Marcin angeblich ist, Antonja, Antonio und Antonella), die Musiker (Habedank, Geethe – um genau zu sein, Johann Vladimir Geethe, wohl eine Anspielung auf Johann Wolfgang v. Goethe -, Weiszmantel, Willuhn) und Tante Huse. Sie halten hier auf dem Weg nach Briesen, wo sie Levin vor Gericht unterstützen wollen. Diese auffällige Besetzung ist natürlich sehr demonstrativ.
Geethe findet in dieser Passage zum ersten Mal Erwähnung. Er wird als einzige Figur mehrmals mit Namen und Vornamen vom Erzähler genannt, was zu seiner Betonung führt und wahrscheinlich auf das Pathos anspielt, mit dem man sonst von Goethe spricht. Und ausgerechnet der erste Satz Geethes lautet: „Wenn ich den Wanderer frage, wo kommst du her.“ Dieser Satz legt die Annahme nahe, dass es sich hier wohl um eine parodistische Anspielung auf Goethes Gedicht „Wanderers Nachtlied“ handelt. Und diese Anspielung finden wir ausgerechnet einen Absatz vor dem ersten (und einzigen) expliziten Versuch der Figuren, die Gründe für das Handeln der deutschen Behörden, des Großvaters und des „Gesetzeshüters“ Krolikowski zu erklären, die bestehende Ordnung also. Und natürlich findet auch dieses Gespräch wieder an dem einzigen Ort im Roman statt, der außerhalb dieser Ordnung zu stehen scheint.
Weshalb sind die bloß so, sagt Flötist Geethe. Er meint diese deutschen Behörden und diesen deutschen Großvater und diesen Fußgendarm, der verschwunden ist.
Es ist das erste Mal, dass die Figuren des Romans sich derartig vom Geschehen abziehen und es aus einer größeren Entfernung zu betrachten versuchen. Die Anspielung auf „Wanderers Nachtlied“ evoziert die darin enthaltenen Überlegungen über das menschliche Sein und die Position des Menschen im Kosmos, die Ordnung der Natur.
Zusammen bilden diese Figuren hier eine eigene Gesellschaft, eine eigene Ordnung, die nicht auf Nationalität oder kultureller Identität fusst, sondern wirklich auf der grundsätzlichen Idee einer Gemeinschaft, die nicht auf solchen Unterscheidungen basiert. Es ist „ein nachbarschaftliches Welt- und Sprachverhältnis“, das der Roman nahelegt: „Der Roman plädiert entgegen den offiziellen, damit ideologischen Diskursen der Politik, Kirche und Presse für die authentische Sprache der Poeten, der Liebenden, auch der Trinker – sie ermöglichen Nachbarschaft.“ Denn man merkt leicht, dass diese Figuren nicht durch die nationale Angehörigkeit und auch nicht durch die Zugehörigkeit zu einer konkreten `Gemeinde` markiert sind (im Gegensatz zu der Mehrheit der Figuren im Roman), oder dass diese doch eher ambivalent bleibt. Somit verweist Karol Koczy zu recht darauf, dass es sich hier (aus der Perspektive der nationalistischen Ordnung) um eine „Gruppe von „Mischlingen“ vager Herkunft“ handelt, um „Vagabunden ohne festen Platz auf Erden.“ Es handelt sich tatsächlich um „Grenzfiguren“.
Während Geethe sich überlegt, dass es vielleicht daran liegen mag, dass die erwähnten Deutschen keine „Musikanten“ sind, wirft der Erzähler den folgenden Absatz ein:
Wenn sie hier so zusammensäßen, alle vier, Weiszmantel, Habedank, Geethe, Willuhn, und zu bestimmen hätten, wie es weitergehen soll in Neumühl, in Malken, in Briesen – wie schnell kämen wir mit dieser ganzen Geschichte voran und gewiß ins Reine.
Hier sehen wir, dass der Erzähler den Figuren ein hohes Maß an Autonomie einräumt (keine Seltenheit im Text, ebenso wenig wie im zweiten Roman) und dass der Erzähler wieder einmal auf seine Stellung hinweist. Er würde dem Urteilsvermögen dieser „Ausenseiter-Figuren“ vertrauen, er ist überzeugt, dass ganze Geschichte „ins Reine“ käme, wenn es nach ihnen ginge. Es wird in dieser Passage auch die Aufhebung der der herrschenden Ordnung zu Grunde liegenden strikten ideologischen Unterscheidungen demonstriert, denn unter diesen „allen vier“, die hier zusammen sitzen, finden wir fast alle im Roman vertretenen Nationalitäten beisammen – Polen, Zigeuner, und Deutsche. Dies demonstriert eine Grenzüberschreitung, genau wie die Passage zwei Seiten weiter, in der von dem Aufstand gegen Wielopolski die Rede ist, gegen den sich die Sensenmänner (preußisches Polen), Großrussen, Weißrussen, Ukrainer, Ungarn, Tschechen, Deutsche, Franzosen, Italiener, Polen vereint hatten.[73] Auch die vielfache Bezeichnung (aus der jeweiligen historischen Perspektive) des gleichen Schauplatzes dieser Schlachten selbst demonstriert eine Verwischung solcher Grenzen und impliziert die damit einhergehenden Unterscheidungen, der Zerteilung der Welt, die von der herrschenden Ordnung bestimmt wird:
im Herzogtum Posen, in Galizien, im Königreich Warschau oder Königreich Polen oder in Kongreß-Polen, was einfach dasselbe ist []
Auf Seite 173 fragt sich der Erzähler: „Wo sind wir hier?“ Eine ähnliche Frage stellt sich der Erzähler von Litauische Claviere: „Hier sind wir. Wo ist das?“[75] Es ist eine sehr tiefgründige und vielschichtige Frage. Zum einen bezieht sie sich auf die Handlungsebene und den geographischen Standort innerhalb der erzählten Welt. Aus dieser Perspektive antwortet der Erzähler im Text sofort:
Auf den Feldern in Russisch-Polen, in Krakau, in Kielce, einem Wald südlich Lysa Gora. Irgendwo, aber immer dort, wo sie sich nicht zufrieden geben.
Der Standort wird quasi herangezoomt – Russisch-Polen – Krakau – Kielce – Lysa Gora. Doch diese Frage ist auch wieder auf die Position des Erzählers bezogen, der hier mit dem „wir“ auch den Leser einbezieht – welcher Art nämlich ist unsere Stellung zu dem im Roman Erzählten, und wie und wo ist die Geschichte „angelangt“. Und es ist gleichzeitig auch die Frage nach dem temporären medialen Kommunikationsraum, der sich im Schreibprozess und beim Lesen bildet. Der letztere Aspekt dieser Frage ist einer, auf den Bobrowski in seiner Prosa oft mit einer selbstreflexiven Schreibweise eingeht.
So scheint die Voraussetzung für diese „andere Welt“ die Überwindung ideologischer Unterscheidungen, des „klaren Blicks“ und der damit verbundenen Ausgrenzung zu sein. Gerade diese Überwindung liegt der „Gemeinschaft“ zugrunde, die bei Jan Marcin zusammentrifft.
Dabei überwindet der Roman selbst auf der strukturellen Ebene die anfangs angekündigte und unbegründete Doktrin, die ganze Geschichte in 34 Sätzen zu erzählen. Die „Geschichte“ in allen ihren unterschiedlichen Facetten an Lebenswirklichkeit ist zu komplex, zu groß und zu weit, um sie auf einen vorab definierten Umfang zu reduzieren. Und gerade die Demonstration dieser Überwindung ist eine der Funktionen dieses inszenierten Versuchs des Erzählers oder des inszenierten Entwurfscharakters und des damit einhergehenden Strukturschemas, den Roman in 34 Sätzen verfassen zu wollen. Dass es sich hierbei um einen inszenierten Versuch handelt, den Text derartig zu „ordnen“, verrät uns der Erzähler selbst schon ganz am Anfang, nämlich mit dem Satz: „Wenn man ganz genau weiß, was man erzählen will und wieviel davon, das ist, denke ich, nicht in Ordnung.“
Der Erzähler fingiert gewissermaßen seine eigene „Auktorialität“. Er „spielt“ oft den allwissenden Erzähler, und obwohl er z. B. sich in den Gedanken der Figuren auszukennen vortäuscht, lässt er überall Raum zur Spekulation, Wahrscheinlichkeit, Annahme und tritt zurück vor Eindeutigkeit.
Die Vagheit des Textes, die sich in hohem Maße aus der „Unentschlossenheit“ des Erzählers und dem ambivalenten, andeutenden, „tastenden“ Sprachstil und dem „Versuchscharakter“ des Textes ergibt, ist eine Technik, die Bobrowski hier einsetzt, nicht nur um auf die Fiktionalität des Textes hinzuweisen, sondern auch deshalb, um auf der strukturellen Ebene der Einführung einer autoritären Instanz zu entweichen.
So ist der Erzähler sich etwa nicht sicher, ob Levin in der Dunkelheit sich die Hand über das Gesicht streifen lässt oder nicht, oder auch, ob der Geist Poleskes Großvaters Stube durch die Tür oder durch die Fensterläden verlässt.
Es ist ein Schreiben gegen jegliche autoritäre Instanzen, und so weigert sich auch der Erzähler, selber zu einer solchen Instanz zu werden, die alles fest, konkret und allwissend hinstellen würde. Denn warum sollte ein Text, der eine gewisse Ordnung hinterfragt, sich dann selbst widersprechen, indem er diese Ordnung sprachlich reproduziert?
Die fünf Geistererscheinungen, die der Großvater im Text erlebt, korrelieren mit der Überlegung des Erzählers über die Wirkung des Textes und mit der Sorge, dass er nichts ausrichten könne an den „festen Urteilen“. Alle diese Erscheinungen spielen auf historische Ereignisse an, die sämtlich auch Bestandteil der Familiengeschichte des Großvaters sind. Auch diesen Geschichten liegen historische Ereignisse zu Grunde, die Bobrowski hier für seine Bedürfnisse angepasst hat.
Die Geistererscheinungen sind schon optisch eindeutig markiert und numeriert. Sie sind betitelt und durch eine Leerzeile vom restlichen Text abgekoppelt. Dies verschärft die Aufmerksamkeit des Lesers und hebt diese kurzen Geschichten hervor.
Ein wichtiger Satz, der auf alle diese Geistererscheinungen bezogen werden kann, wird bei Gelegenheit der ersten gleich am Anfang ausgesprochen: „[M]ein Großvater wird aus der Geschichte seines Urahns schon irgendeinen Honig saugen, einen, der zu seinem Recht in Beziehung steht. “ Er gebraucht diese (archetypischen) Träume über sein „Kulturerbe“, um sein Handeln zu rechtfertigen und begründen. Er zieht Parallelen zwischen diesen historischen Ereignissen und seiner Gegenwart.
Die 1. Geistererscheinung findet 1516 statt, wo des Großvaters Urahne Poleske, zusammen mit Matern wegen Überfällen auf Danziger (also deutsche) Händler zum Tode verurteilt wird. Die Passage ist in der Form einer Kreisstruktur aufgebaut und beginnt mit der Hinrichtung Poleskes, nach der eine kurz gefasste Erzählung die früheren Ereignisse etwas beleuchtet. Poleske ist davon überzeugt, dass er mit seinen Überfällen auf die Danziger Händler von „seinem Recht“ Gebrauch macht, denn er sieht in ihnen eine Bedrohung für Polen. Durch diese Einstellung rechtfertigt er die Überfälle, bei denen er sich persönlich bereichert. Dass der Großvater sich in der gleichen Situation fühlt – als Bedrohter oder „Opfer“ also –, das wird schon deutlich an den Überlegungen des Großvaters zu der Anklage, die Levin gegen ihn gerichtet hat: „[D]a hätte ich mich wohl auf die Lauer legen sollen, wie der Poleske.“ Auch die immer wieder erwähnte Wendung „,mein Recht“, die der Großvater von Poleske übernimmt, veranschaulicht das Selbstverständnis von Johann in dieser Angelegenheit. Er sieht sich als „gezwungen“, gegen „diesen Juden“ vorzugehen, denn der stellt eine Bedrohung für sein Geschäft dar. Auch hier gerät die „Deutschheit“ des Großvaters in absurdes Licht, denn er fundiert sein „Deutsches Recht“ auf dem „Polnischen Recht“ seines Urahnen, der ja eben Deutsche überfallen hatte.
Die zweite Geistererscheinung erlebt der Großvater in Malken, nachdem die „Malkener Union“ geschlossen wurde und er ein während der dazugehörigen Feier (die eigentlich einer Taufe gewidmet sein sollte) ein paar Gläschen zu viel getrunken hat. Zu dieser „Union“ der „deutschen Christen“ hat er Pfarrer Glinski angestachelt, nur um gegen Levin und die polnischen Katholiken vorzugehen – ausgerechnet als Altester der Baptistengemeinde, der mit der Oma Wendelhold früher eine scharfe Auseinandersetzung hatte wegen ihrer Zugehörigkeit zu den Adventisten. Die religiösen Überlegungen, die er Glinski nahelegt, um die Notwendigkeit einer Union der deutschen christlichen Gemeinden zu begründen, sind nur auf sein persönliches Ziel ausgerichtet. In dieser zweiten Geistererscheinung identifiziert er sich mit einem anderen Ahnen – mit Krysztof, der in 1606 im Zuge der Gegenreformation den Freitod wählt, anstatt den katholischen Glauben anzunehmen. Krysztof handelt im Gegensatz zum Großvater offensichtlich aus tiefer religiöser Überzeugung und wegen der anstehenden religiösen Repression. Den Großvater hingegen interessiert sein Christentum und die „Überwindung von Glaubensspaltungen“ insofern, dass er beides gegen die polnischen Katholiken einsetzen kann. Und auch durch diese Geistererscheinung erkennt er sich in der Opferrolle: „Krysztof, ruft mein Großvater in tiefer Bewegung und sinkt auf die Knie, tief bewegt, und fällt auf die Seite, mit einem entsetzlichen Seufzer.“ Der Hinweis, dass der Großvater nach Geistererscheinungen besonders gut schläft, verweist wieder auf das Ausbleiben von Schlussfolgerungen über die moralischen Implikationen seines Handelns.
Der dritten Geistererscheinung voran geht eine Vorausdeutung durch den Erzähler: „Mein Großvater wird nicht verstehen, warum die Geister auf ihn losgehen. Er wird, am Ende, sagen: Mit mir nicht.“ Diesmal erscheint ihm eine Figur, die er Vater nennt. Der Mann sei am 15. Januar 1853 (nach historischen Daten 1883) auf einer Straße in Zgnilloblatt nackt, mit verbrannter Kleidung tod aufgefunden worden. Dies ist eine unter vielen Stellen, an denen der freie Umgang Bobrowskis mit historischem Material erkennbar ist. Hubert Faensen zufolge bekannte sich Bobrowski „zum Auffinden präziser Sachverhalte um die objektive Richtigkeit zu gewährleisten. Aber sie waren für ihn Anlaß und Grundlage, nicht Gehalt der Darstellung.“ Im Traum begegnen dem Großvater defigurierte Gestalten aus dem Zigeunerzirkus, in dem Weiszmantels Lied von Künstlern, Musikanten und Besuchern gemeinsam gesungen wurde und wo er zum ersten Mal öffentlich mit seiner Tat konfrontiert wurde. Unter den Traumfiguren lassen sich unter anderem Weiszmantel, der plötzlich mit einem Wolfskopf auf den Großvater losgeht - also als eine der bedrohlichsten Figuren erscheint - und Levin erkennen. Das Gesicht Levins redet zum Großvater:
Es tut den Mund auf und sagt, mit einer Stimme, die die Stimme eines Toten ist, eines auf der Landstraße gefundenen Toten: Johann!
Dies ist einer der eindringlichsten Geistererscheinungen, in der nun der Geist des Vaters in der Gestalt Levins an Johanns Bewusstsein appelliert. Doch wie schon vom Erzähler vorausgedeutet, lautet des Großvaters Antwort auf diesen Traum: „So kommt er aus dieser 3. Geistergeschichte, ungebrochen: mein Großvater. Mit mir nicht.“[89] Der einzige Schluss, den er aus diesem am deutlichsten als „Warnung“ und Aufforderung zu verstehenden Traum zieht, ist der, dass er Habedank „rausschmeißen“ muss – denn der steht hier für die Musikanten (unter denen auch ein Schullehrer und Literat ist) und Zigeuner, die ihn öffentlich erniedrigt haben. Dies kann man gewissermaßen als Zensur verstehen, denn die Musiker sind im Roman, neben den Zirkuskünstlern vielleicht, die einzigen Vertreter der Kunst. Und, wie es so schön an einer anderen Stelle heißt: „es wirkt nicht ohne Musik“. Damit erhofft sich der Großvater ein ungestörtes Leben in Neumühl.
Die vierte Geistererscheinung erlebt der Großvater als er auf der Toilette einschläft. Diese Erscheinung berichtet von „sehr alten“, verwirrten Geistern, die herumirren und die sich „nicht auskennen zwischen den Namen, den Familien“. Im Traum sieht er die Auseinandersetzung, zu der die Liebesbeziehung von Ofka und und Jastrzemb führt – Jastrzemb (über dessen Namen sich der Großvater offensichtlich nicht sicher ist) tritt an gegen den Vater des Mädchens, den alten Strzegonia.
Dieser Traum spiegelt die Verwirrung des Großvaters selbst, denn es ist ihm nicht gelungen, der Anklage Levins auszuweichen, und er meint, dem Glinski „den Schlund“ vergeblich gefüllt zu haben.
Nachdem Großvaters einzige Reaktion auf diese Erscheinung die Schlussfolgerung des „bißchen dünn geratenen Schmutzes“ ist, in dem sein Arm im Schlaf eingefahren ist, erscheint der Erzähler etwas zu müde zu sein, um diese Geister auf ihn loszuschicken:
Manchmal denkt man schon, diese Geister, ältere und neuere und sogar ganz alte, sollten sich um ihn nicht mehr bemühen: wenn er so gar nichts anderes darauf zu sagen hat. Nein, es ist keine Freude mit solchen Großvätern. Die ganze Nacht könnte man darüber räsonieren, eine ganze Nacht, die mein Großvater, wie üblich nach solchen Gemütsbewegungen, in völligem Frieden verschläft.
Und gleich nach diesem Absatz liefert der Erzähler einen stark betonten 19. Satz, der lautet: „Was ist zu tun?“ Also fragt sich hier der Erzähler, wie und ob es einen Zugang zu solchen „Großvätern“ gibt.
Im Unterschied zu den ersten vier Geistererscheinungen erlebt der Großvater die fünfte am Morgen, kurz bevor er nach Briesen aufbrechen muss. Und seinen Tag beginnt mit dem ersten, noch im Schlaf ausgesprochenen Wort „Kalt“. Der Traum vermittelt Szenen von Einsamkeit, Verlassenheit und Unsicherheit. Im Unterschied zu den vorigen scheint diese Geistererscheinung erstmals einen Eindruck auf den Großvater hinterlassen zu haben:
Er steht auf, Christina hantiert schon in der Küche. Wie abwesend steht er in der Tür. Mann, was ist? Er winkt ab. Drei vier Worte heute morgen. Aufwiedersehen. So fährt er los. Nach Briesen.
In diesem Traum wird das Leben des Großvaters in Briesen vorausgesagt – Abgeschiedenheit, „Entzweiung“ und Einsamkeit. Er erinnert sich danach auf der Fahrt wieder an Poleske, der nie mehr nach Hause zurückgekehrt ist. Doch die Benommenheit hält nicht lange an und er sagt: „Schluss. Und ist so mir nichts dir nichts über diesen Traum weggekommen, über diese 5. Geistererscheinung.“[95]
Man erwartet jedes Mal als Leser, dass der Großvater sich eines Besseren belehren ließe von den Geistererscheinungen – sie als Warnungen oder Zeichen dafür auffassen würde, dass er seine Handlungsweise ändern muss – gerade weil er sich in die Rolle seiner Ahnen und ihrer Schicksale hineinfühlt. Doch stattdessen findet er hier nur Bestätigung für seine Handlungen. Dies ist ein Exempel dafür, was der Erzähler in der „Einleitung“ ausdrückt: es ist ein Beispiel für die Sorge um die Wirkung des Textes. Denn diese uralten Geschichten sollten den Großvater kritischer gegenüber seinen „festen Urteilen“ machen. Und auch die letzte Geistererscheinung mit ihrer düsteren Prophezeiung hält ihn nicht ab, nach Briesen zum Gericht zu fahren, um gegen Levin anzutreten. Siegfried Streller sieht in den Geistererscheinungen die Gegenwärtigkeit der Vergangenheit:
In den Geistererscheinungen wird deutlich, wie die Vergangenheit immer gegenwärtig ist, wie sie unser Handeln bewußt oder unbewußt mitbestimmt. Die Geistererscheinungen stellen die erzählte Geschichte in den historischen Prozeß und vermitteln damit die Einsicht, daß die Geschichte aus dem Jahre 1874 unsere unmittelbare Gegenwart angeht.
Die Musik „spielt“, in doppeltem Sinne, eine wichtige Rolle in „Levins Mühle“. Ebenso wie in den Litauischen Clavieren, erscheint sie im Roman (abgesehen von der wichtigen Ausnahme des Malers Philippi, der erst ganz am Ende des Romans relevant für die Handlung wird, dabei aber eine entscheidende Rolle spielt, und vielleicht von den Leuten vom Zigeunerzirkus, die hier als Artisten bezeichnet werden) als einzige Vertreterin der Kunst. Die Figuren, die die Kategorie „Künstler“ darstellen, sind allesamt „Außenseiter“, zusammen mit den Zigeunern und Levin und Marie. Und alle diese Außenseiter singen und spielen Instrumente. Neben mehreren Hinweisen des Erzählers auf die Bedeutung der Musik (wie z.B. die schon zitierte Stelle: „Es wirkt nicht ohne Musik“ ), kommt ihr auf der Handlungsebene große Bedeutung zu. Wenn wir uns die Entwicklung des Konflikts um die Straftat des Großvaters anschauen wird deutlich, dass anstelle des Gerichtsprozesses in Briesen (der ja die Instanz sein sollte, die ´Gerechtigkeit´ gewährleisten kann), ausgerechnet das Lied Weiszmantels der Auslöser einer Reihe von Ereignissen ist, die an der Situation des Großvaters letztendlich einiges verändern. Zu den Musikanten wären hier in erster Linie Habedank (Geige), Wiluhn (Ziehharmonika) und Geethe (Flöte) zu zählen. Jedoch erfahren wir aus dem Text, dass auch Marie eine „schöne Stimme“ hat. Auch der Weiszmantel singt, und, was viel wichtiger ist, er schreibt Lieder. Auch die Mitglieder von Scarlettos Zirkus werden alle mit Musik in Verbindung gebracht. Sogar Jan Marcin, bei dem, wie schon angesprochen, sich die Gegner des Großvaters auf dem Weg nach Briesen versammeln (die alle der Musik auf irgendeiner Weise verbunden sind) singt mehrmals.
Weiszmantels Lied, dass mit den folgenden zwei Zeilen anfängt:
Großes Wunder ist gegeben,
Moses Wollt am Wasser leben
findet in Neumühl langsam Verbreitung. Weiszmantel bringt es z. B. Habedank und Josepha bei. In der Zirkusvorstellung ist es schon in aller Munde, und als die Zigeuner und die Musikanten es anstimmen, gesellen sich auch Polen (Korinth, Nieswandt, Lebrecht, Froese) und sogar Deutsche (Willuhn z. B. und zu guter Letzt auch Krolikowski) hinzu. Es baut sich zu einem „ganzen Heerzug“[100] auf. Dies kommentiert der Erzähler folgendermaßen:
Was hat sich da aufgeführt? Was man überall einmal, da und dort und dort, geredet hat, aber nicht laut; daß man einen gesehen hat, nachts, im Frühjahr, und daß das Stauwasser abgelassen war eines Morgens und von Levins Mühle nur noch der halbe Steg übrig, und daß es welche gibt, die davon reden werden, überall, und nicht aufhören damit.
Weiszmantels Lied hat hier eine für alle unerwartet große Wirkung. In ihm wird zum ersten Mal laut ausgesprochen, was bis dahin keiner sich laut zu sagen gewagt hatte. Dieses Ereignis hat tiefwirkende Folgen. Im Zusammenspiel mit der 3. Geistererscheinung - die der Großvater gleich danach im nächsten Kapitel hat, das praktisch nur diesen einen Traum beschreibt – veranlasst es Johann, den Entschluss zu fällen, Habedank aus Pilchs Häuschen zu verjagen (und es am Ende abzubrennen), womit dann Habedank, aber auch Levin und Marie keine Unterkunft mehr haben. Daraufhin wird Habedank als Verdächtigter verhaftet. Doch dieses Lied ist auch der Auslöser für die öffentliche Erniedrigung des Großvaters und für die erstmals laut ausgesprochenen Beschuldigungen, was im Nachhinein wiederum der Auslöser für seinen Umzug nach Briesen ist, mit dem der Großvater hofft, dem Spott der „Musikanten“ und der damit einhergehenden gesellschaftlichen Ausgrenzung zu entfliehen. Der 33. und also vorletzte Satz lautet: „Wenn wir nicht singen, singen andere.“ Und genau dies geschieht dem Großvater, sobald der Maler Philippi von seiner extremen nationalistischen Einstellung erfährt. Er lacht ihn öffentlich aus, schneidet ihm Grimassen[102] und lässt ihn nicht mehr in Ruhe. Als Johann ihn auffordert, ihn in Ruhe zu lassen, erhalten wir auch den letzten Satz: „Nein“:
Nein, ruft Maler Philippi, dreht sich wie ein
Kreisel auf dem Absatz klatscht, vor meines Großvaters Nase, in die Hände. Als
habe er eine Fliege gefangen.
Und das Philippische Nein, das soll gelten. Uns gilt es hier für einen letzten
Satz.
Auch in Briesen findet sich also jemand (wieder ein „Künstler“, deren Rolle hier eben vom Erzähler gesehen wird), der das Verhalten des Großvaters nicht stillschweigend duldet. Wenn man den Ausgang des Romans betrachtet, dann kann man gewiss Ernst Ribbat zustimmen:
Nicht Planung und Kalkül sollen hier regieren, sondern eine freie Assoziation heterogener Bestandteile – und damit würde dann in der Struktur schon abgebildet, was auf der thematischen Ebene Gegenstand wird: daß nicht die Eindimensionalität der egoistischen Macht sich durchsetzt, sondern die Mischung ganz verschiedener, aber einander tolerierender Menschen. Nicht die an Ordnung Angepaßten, vom Landrat über den Pfarrer und Mühlenbesitzer bis zum Dorfpolizisten, behalten das Terrain dieses Romans für sich, sondern die Unangepaßten, die Zigeuner und die Wanderarbeiter, die emanzipierte Frau, der junge Geistliche oder der verrückte Künstler.
Gleichzeitig könnte man diesen Satz als die Antwort auf die vom Erzähler am Anfang angeführte Frage lesen, ob es vielleicht falsch wäre diese Geschichte zu erzählen.[105]
Und um „Geschichten erzählen“ geht es eben auch beim Singen, denn wie es im Roman an zwei Stellen heißt: „Wir brauchen Text, wenn wir Töne hören.“ Und etwas weiter: „[M]an braucht eben Text zum Singen.“ Und schließlich ist es die in Weiszmantels Lied enthaltene, die Wirklichkeit verfremdende Geschichte von Levins Mühle, die Veränderungen bewirkt. Wenn der Erzähler in der Einleitung offensichtlich auf eine Wirkung des Textes hofft oder sich darum Sorgen macht, dann führt uns der Roman selbst ein Beispiel vor, wo das Geschichten-Erzählen doch einiges bewirkt. Und das „Philippische Nein“, das die Verweigerung bezeichnet, mit diesen Geschichten aufzuhören oder sie zu verschweigen, gibt auch die implizierte Hoffnung für die Wirkung von Levins Mühle.
Die anfangs angeführten Passagen, die den historisch-faktualen Hintergrund für Levins Mühle skizzieren, verweisen auf die äußerst interessanten Verstrickungen, die sich dabei ergeben: die Geschichte des Enkels über einen fiktiven Großvater, der aber tatsächlich ein „Vorfahr“ Bobrowskis ist. Obwohl der Nachname des Großvaters im Roman ausgespart wird, etabliert Bobrowski hier eine sehr anschauliche Verbindung zu sich selbst. Und mit dem Figurennamen „Großvater“ werden wir ja auf jeder Seite des Romans an diese Verbindung (zum fiktionalen Erzähler, aber auch zum realen Autor) erinnert. Auch der (vor allem deutsche) Leser wird vom Erzähler angesprochen – durch das Pronomen „wir“. „In Konsequenz spricht der Erzähler von ´meinem Großvater´, aber von ´unserer Geschichte´.“ Es ist eine Auseinandersetzung mit dem eigenen historisch-kulturellen Erbe, und zu diesem inszenierten Versuch, den Roman in 34 Sätzen zu verfassen, gehört auch der Versuch die Frage „Wo befinde ich mich?“ auf einer weiteren Ebene zu beantworten. Es ist also auch, natürlich, eine Stellungnahme zu diesem Erbe und die „Benennung von Schuld“. Am deutlichsten kommt dies an der folgenden Stelle zum Vorschein, die auch den 15. Satz darstellt:
Der 15 Satz gehört nicht zur Handlung. Wenn auch zu uns, er heißt, nicht ganz genau: Die Sünden der Väter werden heimgesucht an den Kindern bis ins dritte und vierte Glied
Zu der absichtlichen Direktheit dieser Passage äußerte sich später Bobrowski in einem Interview, wo er auch darauf hinweist, dass man sich als Deutscher von diesen in die Nationalgeschichte eingeschriebenen Verschuldungen nicht freisprechen könne.[110] Laut Gerhard Wolf ist dies die „Schlüsselstelle“ für das Anliegen Bobrowskis mit diesem Text. Diese Stelle bezeichnet also eine der Dimensionen oder Achsen der Bestimmung des „Standorts“ des Erzählers.
Auch Bobrowski selbst machte im Zuge der Resonanz von Levins Mühle seinen „Standort“ deutlich. Die Reaktion von Hans Scholz auf den Text enthält die folgende Stelle:
Schlimm, daß es geschehen konnte und in der Tucheler Heide und in Ausschwitz so entsetzliche Konsequenzen zeigte. Was uns frommt ist Demut. In Polenverherrlichung aber braucht deutscher Gemütswandel darum noch nicht umzuschalten.
Darauf antwortete Bobrowski mit den Worten:
Ich wusste ja, daß es Leute gibt, die die Rolle der Deutschen im Osten nicht angetastet sehen wollen. Wenn man die Nazis auch noch nicht offen zu verteidigen wagt, um so weniger soll man an die ´Mission´ Preußens rühren.
Das Interessante an den Reaktionen zu Levins Mühle ist die Tatsache, dass es wie in der vorgeführten Auseinandersetzung immer wieder zu Meinungsverschiedenheiten bezüglich der ideologischen Implikationen des Romans kam. Dies ist natürlich ein Zeichen dafür, dass der von Bobrowski gewählte Stoff für den Roman sich als überaus tiefgreifend und aktuell für die Gegenwart erwiesen hat.
Abgesehen von diesem 15. Satz nimmt der Erzähler seine „Stellung“ im Roman auch mit anderen Mitteln ein. In diesem Zusammenhang schreibt Gerhard Bauer: „Die Geschichten handeln selten direkt vom Völkermord. Sie verwiesen aber im Ton der Vergegenwärtigung, in dem großen Gewicht und Charme, den sie dem Gewesenen beimessen, auf das Unwiederbringliche, das zerstört wurde.“ Einerseits handelt es sich dabei um einen Versuch von „Wiedergutmachung“, eine persönlichen Art von Sühne. Zu deren Medien zählt auch sein „Kunstgriff, das Zerstörte noch in der Fiktion lebendig und anschaubar zu machen“. Andererseits ist es eine Form von „Vergangenheits-bewältigung“ der deutschen Geschichte, die gleichzeitig die Funktion des ´Erinnerns´ trägt. Und im Ausklang des Romans erhalten wir das „Philippische Nein“, wohl als Antwort auf die Frage, ob die Geschichte doch lieber nicht erzählt werden solle. Dieses „Nein“ richtet sich, um es mit Christian Fabritz zu sagen, gegen das Vergessen.
Der von Johannes Bobrowski 1965 verfasste Roman Litauische Claviere ist ein sehr eigentümlicher Text, der bei der ersten Lektüre eher befremdlich wirkt. Als erstes sieht man sich hier mit dem Sprachstil konfrontiert, der sehr lakonisch, immer andeutend und fast nie wirklich konkret ist. Auch die Handlung wird nicht gerade augenscheinlich dargeboten – sie wird oft nur angedeutet und der Leser muss viel Mitarbeit leisten, um überhaupt zu ihr durchzudringen. Hinzu kommt die aufgelöste, auf den ersten Blick undurchschaubare Struktur des Textes. Wenn die ersten zwei Kapitel geradezu als ein Zitat der literarischen Tradition anmuten, dann wird man in den folgenden Kapiteln allmählich mit einer sukzessiven, zunehmenden Auflösung und Umformung vieler traditioneller Erzählkategorien konfrontiert. Dazu liefert uns der Text einen vermeintlichen Schlüssel für die Interpretation erst ganz am Ende – im letzten Absatz des Textes.
Auf die aufgelöste Natur des Romans verweist schon Heinrich Bosse in seiner frühen Rezension.[118] Und gerade diese eigentümliche Struktur (die strategisch und durchdacht von Bobrowski eingesetzt wird) scheint mir für die Interpretation des Textes von zentraler Bedeutung zu sein.
Aus der narrativen Perspektive könnte man im Roman von einer Dreiteilung ausgehen, die an den jeweiligen Aktanten ausgerichtet ist. Auch in anderen Untersuchungen sind Dreiteilungen vorgeschlagen worden,[119]die aber anderen Ordnungsprinzipien folgen. Der Großteil des Textes ist auf den Philologen Voigt und den Konzertmeister Gawehn fokalisiert, und dieser bildet den I. Teil. Er umspannt die Kapitel I (in dem Gawehn sich mit Voigt trifft, um die Oper zu besprechen), II (in dem beide zum Schullehrer Potschka fahren, um nach Rat für die Oper zu fragen), IV (in dem für den Entwurf der Oper gewissermaßen ein Resonanzraum in der Bevölkerung gesucht wird), V (in dem Voigt und Storost biographische Texte von Indra Buddrus besprechen), VI (in dem Gawehn und dann Voigt abreisen, um eine Vorstellung zu besuchen).
Im II. Teil, der, ausgenommen recht formale Verbindungen auf der Handlungsebene (gemeinsamer Handlungsort und –zeit, Figuren, die in beiden Teilen erscheinen), sich stark vom ersten Teil absetzt, rückt Potschka in den Vordergrund. Die in den ersten zwei Kapiteln angeführte Handlungslinie – die Arbeit am Entwurf der Oper – wird hier nicht weiter verfolgt. Diesen Teil bilden die Kapitel III (in dem Potschka zum ersten Mal in den Traumzustand verfällt), VII (in dem Potschka den imaginierten „Trigonometrischen Punkt” heraufklettert) und IX (in dem er zum zweiten Mal in einen Traumzustand gerät und von Tuta zurück „ins Leben gerufen” wird)
Den III. Teil bildet das eigentümliche Kapitel VIII (das eine Szene aus einer „litauischen Hochzeit” beschreibt, bei der Donelaitis als Gast anwesend ist), in dem die größte Präsenz dem Erzähler selbst eignet. Auch dieser steht auf der Handlungsebene abgekoppelt von den anderen zwei Teilen: es gibt hier keine Verbindungen zu einem der angeführten Handlungsstränge, weder zur Oper noch zum Zustand Potschkas. Die anderen Aktanten sind in diesem Kapitel nicht präsent, werden vom Erzähler aber in der Einleitung gewissermaßen aufgezählt. Wenn seit Aristoteles die Handlung als eine den Text strukturierende und kontinuitätsbildende Instanz[120] definiert ist (die Handlung verbindet narrative Dimensionen wie Figuren, Räume, Zeiten usw. zu einem Kontinuum), werden hier gerade die fundamentalen Merkmale dieser Kategorie aufgehoben und es findet ein Bruch mit der Erwartung des Lesers statt.
Zu der Rolle der „Fabel“ sagt Bobrowski im Interview mit Irma Reblitz folgendes: die offene Form erlaube es ihm,
die Dinge so scharf nebeneinanderzustellen – ohne verschmierte Fugen und so etwas, wozu man durch eine geschlossene Form, durch einen genau vorzutragenden Handlungsablauf gezwungen wäre.
Diese Inkonsistenz beginnt schon mit dem Titel des Werks – Litauische Claviere. Traditionellerweise ist der Titel semantisch eng mit dem gesamten Text verbunden. Entweder benennt er das Hauptthema oder deutet es an, bietet einen Index für eine Auslegung des Textes, oder er bezieht sich metaphorisch auf den Text.
Sowohl auf der Handlungs- als auch auf der Bedeutungsebene ist es in diesem Fall äußerst schwierig, einen Bezug herzustellen. Das Wort Klavier (Clavier) wird nur an drei Stellen explizit erwähnt. Darunter findet sich die Andeutung, dass Donelaitis drei Claviere angefertigt hat, im letzten Kapitel, in dem der Tod des Donelaitis angedeutet wird und der Versuch, ein Klavier zu stimmen geschildert wird. In der Beschreibung von Potschkas Zimmer wird vom Erzähler ein Ton vernommen, der „um die Saiten“ schwirrt, dieser ist aber nicht zwingend auf die Saiten eines Klaviers zurückzuführen. Natürlich lassen sich ambivalente semantische Zusammenhänge herstellen, jedoch mit ausgesprochen langen Umwegen. Als einen gelungenen Versuch diesbezüglich sei auf einen Aufsatz von Maria Behre hingewiesen.
Neben der unterschiedlichen Verteilung der Aktanten-Präsenz, die das augenscheinlichste Kriterium für diese Dreiteilung darstellt, liefert der Text auch ein weiteres recht auffälliges Signal am Anfang jedes dieser Teile, das auf eine solche Einteilung hinweist. Es ist nämlich nicht nur die litauische Hochzeit, die vom Erzähler „wie eine Polonäse” im VIII. Kapitel angesagt wird. Ebenso verhält es sich mit den Aktanten der jeweiligen Teile – sie werden „angesagt”, und zwar einer nach dem anderen und immer schon im ersten Satz der jeweiligen „Anfangskapitel”. Im ersten Kapitel:
Lang, dünn, hoch aufgerichtet, Stelzbeine, betont kurze Schritte jedoch, dabei ein auffällig schlenkernder Arm, der linke, zur Entspannung das Schlankern, der hut wiederum in der Rechten, langes gesicht, obwohl niemand sagen könnte, was es ausdrücken soll, Abwesenheit, Gleichgültigkeit: Gawehn tritt aus dem geöffneten Seitenportal auf die Straße.
Oder auf die „Bühne”, könnte man fast meinen, besonders wenn man diese karikierende Figurenbeschreibung verinnerlicht und bedenkt, dass es in diesem Text eine von sehr wenigen ist. Es wird hier keine realistische Schilderung der Figuren oder ihre Glaubwürdigkeit angestrebt. Eher sind sie als modellhaft zu bezeichnen. Eine einleuchtende Erklärung dieses Merkmals findet man bei Brian Keith-Smith: “The characters in Litauische CLaviere, their actions and their lives, are all too abviously intentionally seen through the focus of the story´s quest. They are directly connected with the author, not so much like puppets on a string, but as carefully chosen actors in a special situation.”
Weiter, im III. Kapitel: „Potschka also hat es eilig gehabt.” Hierbei ist das kleine Adverb „also” interessant, das natürlich eine Funktion erfüllt. Es verstärkt nämlich den Gestus der „Ansage” – „wenden wir uns nun dem Potschka zu”. Es wird dadurch auf die Fokalisierung auf Potschka und den „Schnitt” hingewiesen – Szenenwechsel, anderer Akteur, und wie sich bald herausstellt, neue Regeln.
Und, dann, im VIII. Kapitel, sagt sich der Erzähler selber an, in dem er auf seine Erzählerrolle selbstreflexiv und eindringlich hinweist: „Dieses neue Kapitel sollte vielleicht einen Namen tragen: Litauische Hochzeit, oder: Auf einer litauischen Hochzeit.” Schon allein die Idee einer Kapitelüberschrift hebt diesen Teil von den anderen so sehr ab, dass man auch hier mit Gewissheit wieder ein neues „Spiel” erwarten kann.
Diese Dreiteilung wird auch auf der Handlungsebene gestützt. Es lassen sich hier drei relativ ausgebreitete und an sich offen gehaltene Handlungsstränge ausmachen, die in den jeweiligen Teilen des Textes dominieren, die aber nicht in eine den gesamten Text umspannende Kohärenz münden. Es sind drei Geschichten, die durch eher formale Griffe „verflochten” sind. Im I. und II. Teil überschneiden sich Handlungsort und Handlungszeit und ein Teil der Figuren überqueren die Grenzen dieser „Geschichten”. Im III. Teil werden die Aktanten der anderen Teile vom Erzähler vernommen. Thematisch kehren in allen Teilen Donelaitis-Motive in verschiedener Form wieder, aber auf der Handlungsebene sucht man vergebens nach einer „zentralen” Handlungslinie, entlang der der ganze Text entwickelt wäre. Zudem sind die jeweiligen Teile in sich offen gehalten – diese Geschichten finden keinen expliziten Abschluss –, und ebenso offen wirkt auf den ersten Blick der ganze Roman.
Die einzelnen „Geschichten” befinden sich in einer Art Schwebezustand, da zwischen ihnen keine festgesetzten Verbindungen bestehen. Daher können sie ganz verschiedene und sehr ambivalente Beziehungen eingehen, je nach dem, wo man als Leser das „Zentrum” anzusetzen versucht. Da keiner der Handlungsstränge durchgehende Kohärenz stiftet, gibt es hier auf der Handlungsebene auch keines. Der Text bleibt sehr beweglich und ist imstande, durchaus unterschiedliche plausible Interpretationen gleichzeitig zu tragen. Natürlich sind in den Handlungssträngen implizite semantische Zusammenhänge zwischen den drei Teilen erkennbar. Vor allem die Donelaitis-Thematik und die Kontrastierung zwischen der Zeit vor einer gespaltenen Gesellschaft, die einer harmonischen, idyllischen Utopie ähnelt und der Gegewart, die auf eine Katastrophe lokalen und globalen Ausmaßes zusteuert, worauf Reinhard Tgahrt hinweist. Dies bietet eine Möglichkeit, die Donelaitis-Passagen mit der Gegenwart des Romans zu verbinden.
Viele Nebenhandlungen, die eingangs teilweise als Hauptthemen anmuten, werden später aber weitgehend fallengelassen. Darunter gehört die „Geschichte“ die von den soziokulturellen Verhältnissen in der Memelregion um 1936 handelt. Diese scheint am Anfang den eigentlich Konflikt des Romans zu tragen und implizit einzelne Handlungsstränge zu verbinden. Dazu zählen die vielfachen Auseinandersetzungen zwischen Deutschen und Litauern.
Sobald der erste Aktant des I. Teils „angesagt“ ist, wird uns hier die erste „Geschichte“ erzählt. Im I. Kapitel des Romans trifft sich Konzertmeister Gawehn mit dem Philologen Voigt, um den Entwurf einer Oper über den litauischen Nationaldichter Christian Donelaitis zu besprechen, um die sich thematisch der I. Teil insgesamt dreht. Diese wird sogar bis in konkrete Details besprochen, die zum Teil in der Fachsprache der Musik geliefert werden. Einerseits wird der Leser geradezu mit konkreter „Information“ überschüttet, des öfteren sogar mit Notenblättern: „kreisläufige Melodien, Schlüsse auf der Terz oder der Oberdominante, dreisilbiger Auftakt, Takt- und Tonartwechsel“. Andererseits wirkt gerade dies befremdend, und obwohl sich die Dialoge überwiegend um die Oper drehen, erfahren wir nicht viel über sie. Sie gewinnt keine wiedererkennbare Form, sie erstickt in diesen Schemata. Damit möchte ich Gerhard Wolf widersprechen, wenn er die Oper „in den Vorstellungen ihres Librettisten Voigt“ und in den „musikalischen Einfällen des Komponisten Gawehn“ als „greifbar“ bezeichnet.
Und dann fragt sich eine Stimme, die wohl dem Erzähler gehört, ihm aber nicht eindeutig zuzuordnen ist (ein allgemeines Charakteristikum in der Prosa Bobrowskis): „Worum geht es hier eigentlich? Um eine Oper, gewiß.“ Dies ist eine selbstreflexive, ironische, aber gleichzeitig auch eine sehr ernste und vieldeutige Frage, die den Leser für die „Regeln“ des Textes empfindlicher machen soll. Der Erzähler tut so, als ob er auf die Frage eingehen würde und antwortet scheinbar (als ob dies sich auf den ganzen Roman beziehen würde). Aber, solange wir beim I. Teil und auf der Handlungsebene bleiben, ist es auch eine ernst gemeinte Antwort.
Im II. Kapitel fahren Voigt und Gawehn über die Memel, die hier eine topographische Grenzlinie zwischen den Deutschen und den Litauern ist – also auch eine nationale Grenzlinie. Sie fahren zum litauischen Schullehrer Potschka, um auch mit ihm die geplante Oper weiter zu besprechen. Diese zwei Kapitel nehmen fast ein Drittel des Textes in Anspruch. Aufgrund der starken Fokalisierung auf Voigt und Gawehn glaubt man in ihnen die Hauptfiguren gefunden zu haben und damit in der Oper die vermeintlich zentrale Handlungslinie des Romans.
Doch nach dem eingeblendeten III. Kapitel (das zum II. Teil gehört), scheint es mit der Oper bergabzu gehen.
Im IV. Kapitel wird der Entwurf an der Bevölkerung des Dorfes sozusagen erprobt, wo er immer wieder auf Widerwillen und Skepsis sowohl von der litauischen als auch von der deutschen Seite trifft. Diesbezüglich vermerkt Ernst Ribbat zu recht: „Wer würde in dieser Epoche eine solche Oper aufführen, und wo wäre ein aufgeschlossenes Publikum zu finden?“[132]
Und dann, nach einem längeren Hin und Her darüber, wo und wann denn nun die Handlung der Oper anzusetzen sei, kommt folgende Schlussfolgerung: „Durchgehende Handlung kaum möglich!“ Laut Werner Weber erkennt man hier einen ironischen Wink des Autors. Dem kann man nur zustimmen. Es ist also ein zweites selbstreflexives, ironisches Signal des Erzählers, diesmal schon etwas genauer als das vorige - mit dem Hinweis auf die Handlungsebene, die hiermit implizit gewissermaßen in Frage gestellt wird. Dieser vielschichtige und vieldeutige „Wink“ ist einerseits auf die Oper bezogen. Ihre Schöpfer folgern, dass eine von ihnen angestrebte lineare Erzählung des Lebens des Donelaitis nicht möglich ist. Damit wird auf der Bedeutungsebene gewissermaßen schon das Scheitern ihres Versuchs eingeräumt, denn die bisherigen Bemühungen galten gerade einer linearen Erzählstruktur in verschiedenen Ausführungen – von der Jugend bis zum Alter. Und zuletzt wird dieser Satz auf den Roman selbst und auf das Erzählen an sich bezogen, denn es handelt sich hier gleichzeitig um einen implizit metanarrativen Kommentar des Erzählers.
Es scheint, dass gerade der Versuch, in der Oper aus dem Leben des Christian Donelaitis eine lineare Erzählung zu gestalten und die nüchterne, schematische, philologisch-wissenschaftliche Herangehensweise an ihre Umsetzung dazu führen, dass diese im Roman keine aussagekräftige oder gar plastisch-feste Form gewinnt. Die Donelaitis-Passagen in diesem I. Teil bleiben einzelne Partikel, die nicht in Kohärenz oder einer „lebendigen“, aussagekräftigen Form münden.
Und nun, nachdem dies das Thema des Romans zu sein schien, welches fast 100 von den insgesamt 120 Seiten in Anspruch nahm, schwimmt die Oper im VI., also dem letzten Kapitel des I. Teils, zusammen mit Voigt und später auch Gawehn, dahin, weg vom Ufer, in einem kleinen Dampfboot und mit der Begründung, dass die beiden zu einer Vorstellung wollen, aber eben nicht wegen den politischen Umständen resignieren, die hier ja als Konflikt wie auf einem Servierteller geradezu angeboten werden. Die Arbeit an der Oper wird abgebrochen, sie bleibt ein unrealisierter, formloser Entwurf. Der Leser aber verharrt am Ufer und liest dem Rauch und der Dunkelheit hinterher, immer noch ohne zu wissen, woran man hier ist: „Hier sind wir. Wo ist das?“ , wie es an einer anderen Stelle heißt. Ich finde, dass man hier die Komik der Litauischen Claviere nicht unterschätzen sollte. Nur gehen die Witze oft auf Kosten des Lesers.
Irgendwann nämlich fragt man sich dann als Leser – worum geht es hier eigentlich? Denn man hat sich als Leser in diesem relativ sehr langen Teil mit dem Gedanken an eine Oper angefreundet. In dieser Hinsicht stellt das III. Kapitel (das zu dem II. Teil gehört) eine „Unterbrechung“ dar, die man vorerst an dieser Stelle zum I. Teil nicht richtig einordnen kann – auch nicht als Kommentar.
Und genauso schematisch und linear wie der Versuch, Voigt und Gawehns Donelaitis in der Oper zu vergegenwärtigen, wird auch der erste Teil erzählt, zumindest, wenn man ihn mit den anderen beiden Teilen vergleicht. Dieser Teil ist weitgehend „geordnet“ und „traditionell“, besonders die ersten beiden, relativ langen Kapitel. Es besteht Kohärenz der Handlungszeit und des Ortes, die Sender/Empfänger-Verhältnisse auf der Darstellungsebene sind hier (relativ) eindeutig, die Stimmen der Figuren und des Erzählers sind weitestgehend differenzierbar, die Perspektivenwechsel werden expliziert, und es besteht eine eindeutige Trennung zwischen der narrativen und der Handlungsebene. Und wir haben hier ein kohärentes Thema.
Nur das V. Kapitel fällt etwas heraus – eigentlich so sehr, dass es den Anspruch erheben könnte, einen eigenen strukturellen „Teil“ zu bilden. Das Kapitel umfasst gerade einmal zwei Seiten, und dadurch wird es eigentlich noch mehr hervorgehoben.
Ein Zusammenhang mit der Romanwelt wird hier erst am Ende hergestellt, als Storost und Voigt erkennbar werden, die gewissermaßen durch die innenperspektivische Stimme von Indra Buddrus hindurch sickern und als Figuren greifbar werden. So gewinnt die Stimme von Buddrus nahezu reale Präsenz in der Romanwelt, und sie scheint autonom zu sein, obwohl es sich hier nur um die Wiedergabe von Fetzen aus Tagebucheinträgen und Briefen handelt. Die Stimme redet durch Storost und Voigt hindurch, denen durch diese Struktur eine untergeordnete Rolle zugeschrieben wird. Es stellt sich heraus, dass hier Voigt von Storost eine Sammlung biographischer Materialien zu Indra Buddrus vorgezeigt wird. Storost fragt, was mit einem solchen Vermächtnis zu machen sei. Darauf die Antwort von Voigt: „Alles ganz einfach. Sie werden es lesen und es bewahren. Es wird sein wie nicht gewesen
Da man sich diese Aussage als Kommentar zum I. Teil denken kann, gehört er meines Erachtens dazu. Gegenüber diesem Satz von Voigt, über den Nachlass von Indra Buddrus, steht die geplante Oper, die ja gerade dies verhindern soll – das „sein wie nicht gewesen“.
Denn eine Oper würde den Stoff Donelaitis gewissermaßen in die Gegenwart rufen, ihn vergegenwärtigen oder aktualisieren und so eine neue Auseinandersetzung ermöglichen. Dies stünde im Gegensatz zum Lesen und Bewahren als einer betont aktiven und dem sozialen Raum gegenüber offen gehaltenen Tätigkeit. Also wird hier eine Opposition zwischen Schriftsprache und gesprochener Sprache aufgestellt.
Potschka also, wie wir erfahren haben, hat es eilig. Weil er nämlich zu seiner Geliebten eilt – einer Deutschen namens Tuta. Und hier fängt die zweite „Geschichte“ an, die von Potschka, seiner Geliebten und seinen Traumzuständen. Das III. Kapitel leitet also den II. Teil ein. Und spätestens in der Szene am alten Park ist nun auch der Leser gezwungen, sich zusammen mit Potschka zu fragen: „Wo komm ich jetzt her?“ Denn zwischen der vorher beschriebenen Handlungslinie, die den I. Teil überzieht, und dem II. Teil, in dem nun Potschka „auf der Bühne“ steht, gibt es keine Verbindungen auf der Handlungsebene. Wie schon angedeutet, „unterbricht“ das III. Kapitel den II. Teil. Damit werden diese Teile miteinander verflochten. Dabei wird es dem Leser überlassen, nach der semantischen Verbindung zwischen diesen Teilen zu suchen.
Potschka trifft sich mit seiner Geliebten, die er von ihrem Elternhaus abholt, wobei in dieser Szene darauf hingewiesen wird, dass der Familie diese Konstellation missfällt.
Sie gehen hinaus, und nach einem Spaziergang liegen die beiden bald in einem Heuhaufen am alten Park.
Was Potschka seiner fast verstummten Freundin erzählt, mutet anfangs eher als eine Geschichte über seine Vergangenheit an. Aber diese Erinnerungen werden bald zu einer innenperspektivischen Rede des Donelaitis, wozu der Name des mit ihm befreundeten Priesters Sperber zum ersten Signal wird.[142] Dieser Übergang wird narrativ nicht markiert, es gibt keinen explizierten Perspektivenwechsel oder dergleichen. Potschka „erwacht“, sobald Tuta erkennt, dass er sich in Donelaitis hineinversetzt hat und sie ihn nun als Christian anspricht. Er erschreckt sich offensichtlich vor dieser Anrede, die einen vollkommenen Ich-Verlust bezeichnen würde. Dies ist eine Grenze, die er offensichtlich nicht überschreiten möchte, und er kommt zu sich.
Doch es handelt sich hierbei um mehr als nur um dieses Sich-Hineinversetzen oder sich mit Donelaitis „identifizieren“. Was Bernd Leistner bei dieser Passage am Park mit einer imaginativ heraufbeschworenen vergangenen Lebenswelt und als Fluchtversuch beschreibt, oder was Andreas Degen als einen Trancezustand bezeichnet, also wohl von der thematischen Ebene ausgehend, das kann man hier durch die Einbeziehung der narrativen Ebene auch anders deuten. Es findet hier an der Figur Potschkas, die zudem auch nirgendwo beschrieben wird – im Gegensatz zu den anderen zwei vorher angeführten Aktanten, Voigt und Gawehn) - ein Stimmentausch statt, bei dem er zu einer Art Medium für die Stimme des Donelaitis wird.
Donelaitis ist in der erzählten Gegenwart nicht als Figur präsent, hierdurch aber wird er plötzlich „lebendig“. Somit werden die („körperlichen“) Grenzen zwischen den Figuren aufgelöst. Die „Stimme“ ist nicht mehr an diese gebunden, ebenso wenig auch an zeitliche Grenzen. Man merkt schnell, dass in diesem Teil eben andere „Regeln“ herrschen. Der „Stimme“ ist hier alles andere untergeordnet – sie unterliegt keinen Grenzsetzungen.
Dabei müsste hier vermerkt werden, dass es auch einen guten Grund gibt, warum ausgerechnet Potschka zu einem Medium für die Stimme Donelaitis‘ wird. Bernd Leistner weist darauf hin, dass Potschka nur an einer Stelle im Roman zusammen mit seinen Landsleuten vorgeführt wird: beim Johannisfestzug, wo er zwar mitsingt (dabei ist es nicht klar, ob seine Landsleute seine Stimme überhaupt vernehmen), aber dann trotzdem nicht mit ihnen weiterzieht, wodurch der Abstand bewahrt wird.
Wenn Donelaitis im Roman als Zeichen für ein harmonisches, friedliches Zusammenleben erscheint – als Litauer, der eng mit der deutschen Kultur verbunden war - dann erlangt Potschka ähnliche Züge, worauf auch der Text wiederum recht aufdringlich hinweist. Zum Beispiel mit der Anmerkung, dass Potschka auf einer Mundartengrenze lebe – zwar wird das nur auf das Litauische bezogen, aber auf einer Grenze befindet er sich auch zwischen Litauisch und Deutsch, worauf auch sein Kontakt und Zusammenarbeit mit Voigt und Gawehn hinweist. Für Potschka gibt es weiter in den letzten drei Kapiteln keinen „Raum“ auf in der erzählten Welt des Romans. Wir hören ihn sprechen, aber keine der Figuren kann ihn finden oder wahrnehmen. Er ist „verschwunden“.
Sowohl Donelaitis als auch Potschka werden hier daher als Grenzfiguren gestaltet, die allem voran für die Überquerung der nationalen Grenze stehen.
Auch die Struktur der Potschka Kapitel tendiert zu einer Aufhebung der narrativen Grenzen – zu einer Art Amalgamierung. Eben dies ist zum großen Teil das Thema des Romans. Donelaitis und Potschka erscheinen hier also als Exempel einer Existenz zwischen polarisierenden ideologischen Grenzen, deren Konfliktpontial im Roman gleichzeitig Aufgezeigt wird. Auch die geplante Oper würde eine Grenzüberschreitung darstellen, indem deutsche „Humanisten“[147] eine Oper über den litauischen Nationaldichter aufführen und somit sich über den ideologischen Konflikt ihrer Gegenwart hinwegsetzen würden.
Das Vorhaben der Protagonisten in Bobrowskis Roman, die eine Oper über einen Dichter planen, der zwei Nachbarkulturen repräsentieren und sich für die schwächere einsetzen soll, geschieht in einem Umfeld, das in sich steigernder Weise durch gewaltsame Übergriffe deutscher Nationalisten geprägt ist.
Es ist also ein ´grenzsetzendes´ und ´ausgrenzendes´ „Umfeld“. Und die Kategorie der Grenze wird zur Kontrastierung ja im Text geradezu heraufbeschworen, besonders durch Neumann und seine „Handlanger“ sowie durch die Metapher von der Memel als einer Grenzlinie zwischen den Nationen. Wenn Voigt bei der Abreise die Hoffnung ausspricht, dass sich etwas an der Situation ändern ließe, wird vor allem auf der narrativen Ebene der letzten drei Kapitel eben die Hoffnung Voigts eingelöst – es werden Grenzen überwältigt. Die Struktur dieser Kapitel führt also einen Prozess von Grenzüberschreitung vor, darunter auch eine Überschreitung der Grenze zwischen den Stimmen und damit auch die Grenze zu Donelaitis.
Zum strukturellen Austausch von Stimmen und der Verwischung ihrer Grenzen liefert der Text auch auf der thematischen Ebene ein implizites Signal. Die Handlung der Gegenwart des Romans findet zur Sommersonnenwende statt. In der Predigt, die Voigt besucht, wird ein Pfingsttext vorgelesen. Das Reden in „verschiedenen Zungen“, das in der Predigt durch den Satz: „Die großen Taten in verschiedenen Zungen“ angedeutet wird, ist das Pfingstwunder – das Zungenreden. Und gerade dieses Pfingstwunder manifestiert sich in der Struktur des II. Teils.
Einen ähnlichen Zustand erreicht Potschka noch einmal, im IX. und letzten Kapitel. Diesmal, als Potschka nun den imaginierten trigonometrischen Punkt hinaufgeklettert ist (im VII. Kapitel) und auf einer Art „Bühne“ steht, lösen sich die Spuren des Erzählers in der innenperspektivischen Rede Potschkas auf. Dies ist das einzige Mal, dass wir im Roman eine innenperspektivische Figurenrede, deren Reflexionsgegenstand die eigene Wahrnehmung ist, in dieser Form erleben. Er scheint nun weitgehend das Erzählen zu übernehmen. Die Grenzen zwischen den Stimmen des Erzählers und der Figur Potschka sind nun fließend und damit auch die Grenze zwischen der narrativen und der Handlungsebene. Potschka ist dabei nicht nur in einem Traumzustand verfallen. Sein Körper ist aus der Romanwelt tatsächlich abwesend, worauf der Erzähler mit dem Satz hinweist: „Sahen wir ihn [Potschka] eben nicht auf dem Berg?” Wieder spricht Donelaitis Stimme durch Potschka; der Übergang verläuft auch hier ohne narrative Markierungen.
Erst als Tuta nach ihm ruft und ihre Stimme langsam den Traum durchdringt, erwacht er und erlangt sein eigenes Bewusstsein zurück.[152]
Ganz am Ende des IX. Kapitels ist der Erzähler wieder präsent und beschreibt, wie Potschka nach den nassen Gräsern greift. Eine sehr sinnliche Wahrnehmung, die im Text in dieser Form zum ersten Mal erscheint. Diese markiert nicht nur das Wiedererlangen des eigenen Körpers, sondern auch des Ichs, das durch das Anwenden der eigenen Stimme etabliert wird. Das In-die-Gegenwart-Rufen des Ichs ist hier aber nur durch das Rufen möglich – einer aktiven sprachlichen Handlung also –, durch eine „Stimme“. Die Stimme nimmt hier offensichtlich wieder eine wichtige Position ein.
Nun, auch diese Geschichte zeigt gutes Konfliktpotential – in dem politischem Kontext, deren Höhepunkt in der Gewalttat des VI. Kapitels eben erreicht wurde, sollten die beiden eine Bedrohung für ihre Beziehung erkennen, die eine weitere Grenze und deren Überschreitung darstellt, auf die der Text hinweist. Doch auch hier werden für den Konflikt nur die Prämissen gesetzt, sie werden wiederum „präsentiert“ und wiederum suspendiert. Keiner der beiden klagt im Text über die „Umstände“. Und am Text lässt sich eigentlich für Potschka keine von den Umständen motivierte „Flucht vor der Wirklichkeit“ oder auch ein „disgust with the injustice“ erkennen. Genau umgekehrt – die Szene am Park ähnelt eher einer Idylle.
Der II. Teil ist wohl am besten mit dem Wort entropisch zu bezeichnen. Er steht in starkem Kontrast zum I. Teil. Die Kohärenz der Handlungszeit und des Ortes wird durch diesen narrativ unmarkierten Stimmentausch und durch Potschkas „imaginierten Turm“ aufgehoben. Grenzen zwischen den Figuren, zwischen ihren Stimmen und der Stimme des Erzählers sind auf weite Strecken hin ausgelöscht. Letztendlich ist der narrative Raum, in dem sich Potschka im letzten Kapitel befindet, nicht mehr festzulegen. Hier sind nur mehr Stimmen zu vernehmen, die selten eindeutig den Figuren oder dem Erzähler zugeordnet werden können. Der Text erreicht hier eine maximale Spannkraft durch Auflösungen; er ist reduziert auf ein Minimum an Kohärenz.
Und nun kommen wir zum III. und letzten Teil – Kapitel VIII. – in dem der Erzähler fast schon „theatralisch” alle anderen vorher angeführten Aktanten beiseitetreten lässt und in einer sehr künstlichen und inszenierten Form, immer selbstreflexiv auf die eigene Erzähl-Tätigkeit hinweisend, nun selbst „das Ruder in die Hand nimmt”, immer wieder Signale gebend, dass er hier seine „Erzählerrolle” erfüllt. Auch dieses Kapitel steht auf der Handlungsebene abgekoppelt von den anderen zwei Teilen. Es gibt von hier aus keine Verbindungen zu einer der angeführten Handlungslinien.
Nach dem schon zitierten Satz über eine Kapitelüberschrift führt der Erzähler nochmals die übrigen Aktanten auf – Voigt, Gawehn und Potschka:
Also genügt es vielleicht auch ohne Kapitelüberschrift, wenn es nun schon hier angesagt ist wie eine Polonäse. Und aufgeschrieben wird es ohne Besorgnisse: ob es einen Akt in Voigts Oper abgeben könnte, ob ein Mann wie Gawehn so etwas wenigstens als eine hinreichende Skizze für den musikalischen Aufbau, die Szenenfolge nehmen würde, sogar: ob der Potschka alles so ähnlich sähe.
Also schreibt er ihnen offensichtlich ein hohes Maß an Autonomie zu: er stellt sich gewissermaßen auf eine Ebene mit ihnen. Diese Passage dient wieder der formellen Verflechtung dieses Kapitels mit den anderen zwei Teilen.
Danach kommt eine Beschreibung des Dorfes Tolmingkhemen, und diese hat mehrere sehr wichtige Implikationen. Erstens listet Bobrowski mehrere Karten auf, denen er die topographische Information entnimm, die er als Hintergrund für diese Beschreibung verwendet. Er benennt die realen Dokumente, die er als Autor als Materialien für seine Recherchen verwendet hat. Was wir hier vor uns haben, ist also ein kleiner Einblick in die „Entstehungsgeschichte“ dieser Beschreibung, den uns der Erzähler gönnt. Dies geht sogar so weit, dass eine Passage aus einem der Dokumente zitiert wird.
Auf den Landkarten ist Tolmingkehmen immer sehr
klein, auf Carl Flemmings Generalkarte Nr. 3 gerade noch zu finden, auf Justus Perthes‘
Nordblatt Osteuropa gar nicht mehr da, am besten wohl bei Harms Wichert auf
Blatt 8/9, dort als Kirchdorf und Marktflecken erkennbar.
In des Magisters Leonhardi Erdbneschreibung der Preußischen Monarchie, die 1791
in Halle gedruckt worden ist, also ziemlich weit von hier, worin er sich auch,
und unzutreffend, über die litauische Sprache äußert, indem er sie zu einer
scythischen erklärt, heißt es: Tolmigkehmen, ein meliertes Dorf, mit dem Kgl.
Vorwerk, dem Sitze des Domainenamtes, hat nebst der Kirche 1 H. Wobei unter H.
die sogenannte Große Hufe von nicht ganz 67 Morgen (preußisch) zu verstehen
ist. Das Amt Tolmingkehmen enthält in zwei Vorwerken und 27 Dörfern 309
Feuerstellen.
So wird in mit dieser authentifizierenden Metanarration der Handlungsort diesmal in realen Dokumenten festgelegt, wobei der Entstehungsprozess dieser Beschreibung, die Vertextung dieser Realien, selbst sichtbar wird. Diese Beschreibung schließt dann etwas weiter der folgende kurze Absatz ab:
Da kann man ja viel sagen und muß es doch nicht, nur ein bißchen differenzieren sollte man schon und muß also beschreiben und sehen, wie weit einem das hilft.
Also expliziert der Erzähler (in diesem Fall könnte man eigentlich auch vom Autor sprechen) die Überlegungen über die Funktion einer Beschreibung in einem fiktionalen Text. Darauf verweist hier also vor allem der Nebensatz: „wie weit einem das hilft“.
Und dann, nach einer Beschreibung der Höfe im Dorf, erhalten wir eine weitere metadiegetische, selbstreflexive Außerung des Erzählers:
Aber damit etwas gewonnen würde, mit der Beschreibung, die in dieser Form einfach für nichts steht, werden wir sie bevölkern, mit Leuten, weil die schönste Landschaft ohne Leute eine entsetzliche Öde ist, schlimmer als die Hölle, mit Leuten, versteht sich, die sich in dieser Umgebung zu bewegen wissen.
Der Hinweis auf die realen Dokumente, der durch das Zitieren besonders betont wird, korreliert mit den expliziten Aussagen über die Funktion einer Beschreibung in einem fiktiven Text - es muss etwas daraus „gewonnen“ werden - und der impliziten Funktion dieser Passage im Roman. Es handelt sich hierbei um ein ausgesprochen starkes metanarratives Signal, das nochmals auf den fiktionalen Charakter des Textes hinweist und auf den Akt des Erzählens selbst, auf die Vertextung aufmerksam macht. Dies wiederum verhilft zur Entblößung des Textes als einer fiktionalen Inszenierung von Erzählen.
Das Kapitel berichtet von einer Hochzeitsfeier, bei der Donelaitis als Gast anwesend ist. Das heißt, dass nicht nur die Handlung, sondern auch Handlungszeit und Handlungsort andere sind, ebenso wie die Figuren.
Man erkennt leicht, dass der Erzähler sich hier auf einer Meta-Ebene bewegt und durch diese künstliche Ausdrucksform immer wieder auf die Modellhaftigkeit, auf das In-Szene-Setzen verweist.
John Wieczorek unterbreitet den Vorschlag, dieses Kapitel als eine Szene aus der geplanten Oper zu verstehen.[158] Das kann man sich durchaus vorstellen, nur unter anderen Voraussetzungen – nämlich dann, wenn man den gesamten Roman als eine Aufführung der geplanten Oper interpretiert. Auffällig ist die selbstreflexive Haltung in der Einleitung des Kapitels, wo die Spuren des Erzählers in einer (verglichen mit dem restlichen Text) auffälligen Konzentration präsent sind. Ständig wird in einer nicht zu übersehenden Intensität daran erinnert, dass es sich hier um die narrative Konstruktion einer Szene handelt, die der Erzähler entwirft – dass es sich hier um erzähltes Erzählen handelt. Also handelt es sich auch bei diesem Teil um eine zu den anderen stark kontrastierende Erzählstrategie. Ebenso kann auch in diesem Teil kaum von einer Handlungsentwicklung die Rede sein, und auch hier ist kein Konflikt gegeben.
Die veranschaulichte Selbstreflexivität der Erzählhaltung in Litauische Claviere führt uns zu einer weiteren „Geschichte“, die aber auf der Vermittlungsebene des Textes stattfindet.
Die metanarrativen und zum Teil metafiktionalen Selbstreflexionen des Erzählers und des Modellautors sind nicht nur auf einzelne Passagen zu beziehen, sondern diese bilden ein geschmeidiges Muster, welches durch den gesamten Roman gezogen wurde. Auf dieses Muster möchte ich nun etwas näher eingehen.
Der Aufbau von Litauische Claviere offenbart einige auffällige Probleme. Allen voran die paratextuelle Bezeichnung des Textes, die diesen als ‚Roman‘ einstuft. Dabei ist an der hier ausgeführten Textanalyse erkennbar, dass die Kohärenz dieses Textes keineswegs fragwürdig ist, zumindest wenn wir auf die Darstellungsebene und die Handlung schauen. Ganz im Gegenteil ist eher eine deutliche Trennung erkennbar. Diese ist schon auf der Ebene der Erzählvermittlung erkennbar. Stilistisch unterscheiden sich die jeweiligen Teile zum Beispiel durch den Grad der Deutlichkeit, mit der einzelnen Figuren Aussagen narrativ zugeordnet werden. Das Verhältnis oder die Dominanz von Erzähl- oder Geschehensillusion ist ebenfalls sehr ungleichgemäß zwischen den einzelnen Teilen, jedoch innerhalb dieser Teile selbst überaus beständig. So dominiert in den Voigt und Gawehn-Kapiteln, also dem I. Teil, die Geschehensillusion deutlich und metanarrative Kommentare, dazu noch in einer eher versteckten impliziten Form, treten relativ selten auf. Der Erzählakt wird nicht direkt thematisiert und der Erzähler bleibt sehr zurückhaltend.
Der II. Teil (den Potschka-Kapiteln) sieht da ganz anders aus. Die Zuordnung vieler Aussagen zu einer der Figuren wird auf weite Strecken schwierig. Metanarrative und metafiktionale Einschübe des Erzählers treten häufig auf und dadurch wird die Erzählillusion in diesem Teil viel vordergründiger als im I. Die Erzählinstanz gewinnt einen durchaus anthropomorphen Charakter; sie erinnert oft an ihre Präsenz und an den Akt des Erzählens selbst.
Im III. Teil, dem „Erzähler-Kapitel“, dominiert eindeutig die Erzählillusion, während das Geschehen durchgehend als fiktional markiert ist – allein dies bildet einen starken Kontrast zum durchaus realistischen I. Teil, während der II. Teil an mehreren Stellen weitgehend explizit und implizit als fiktional markiert wird.
Aus der Perspektive der erzählten Welt oder der Darstellungsebene werden die einzelnen Teile ebenfalls differenziert. Den ersten beiden ist eine gemeinsame Handlungszeit und ein teilweise sich überlappender Handlungsraum gemeinsam, während der dritte Teil hier eine Ausnahme bildet. Was die ersten scheinbar eng verbundenen Teile wiederum unterscheidet, ist die Haupthandlung selbst (das Verfassen der Oper im ersten und die „Liebesgeschichte“ im zweiten) und die damit einhergehende Differenz in der Dominanz jeweiliger Haupt- und Nebenfiguren. Es gibt weiterhin keine „durchgehende Handlung“, worauf der Erzähler selbst metanarrativ verweist, die sich über alle drei Teile erstrecken würde, denn es gibt auch keinen gemeinsamen von der Darstellungs- und Handlungsebene explizierten Konflikt. Dieser wird lediglich in Aussicht gestellt, was sich aber als „Täuschungsmanöver“ des Erzählers herausstellt, der mit den Leser-Hypothesen über das „Thema“ des Textes spielt, was an den einzelnen Suspendierungen der jeweiligen Konflikte verdeutlicht wurde.
Beachtet man alle diese Differenzierungen, die konsequent auf alle strukturellen Ebenen des Textes auftreten, dann erscheint es nicht nur problematisch, Litauische Claviere als einen Roman zu bezeichnen, sondern sogar als einen kohärenten Text überhaupt.
Auch der allen Teilen gemeinsame Faden der Doneleitis-Thematik ist sehr vage und ambivalent, wenn man diesen allein aus der Darstellungsebene betrachtet.
Diese auffälligen und zahlreichen Signale wurden in der Forschung nicht aufgegriffen. Diese multilaterale Differenzierung der einzelnen Teile ist aber sehr konsistent durchgeführt worden. Sie erschwert nicht nur die Frage der paratextuellen Gattungsbezeichnung, sondern auch die Interpretation des Textes. Letztere, wie mir scheint, gerät auf der Ebene des Erzählten aus den hier angeführten Gründen notwendig sehr fraglich. Jeder Versuch einer (Re)Konstruierung eines allen Teilen gemeinsamen, „durchgehenden“ Geschehens aus der Perspektive der Handlungsebene wird sogleich von dem Text selbst untergraben. Vor einer auf der Geschehensillusion aufbauenden Interpretation warnt uns der Erzähler mehrfach mit metanarrativen Hinweisen, die sogar in dem realistischen I. Teil auftreten.
Worum geht es hier eigentlich? Auf diese Frage soll noch einmal eingegangen werden. Litauische Claviere erzählt uns also drei an sich getrennte Geschichten. Außer den formellen Verflechtungen, wie der partiellen Überschneidung der erzählten Welt des I. und II. Teils und dem Hinweis auf die Figuren dieser beiden Teile im IX. Kapitel, fehlt es zwischen den einzelnen Teilen an Kohärenz –Einheitlichkeit der erzählten Zeit, des Handlungsortes, einer gemeinsamen Handlungslinie, der Hauptfiguren oder gar eines gemeinsamen Konflikts ist nicht gegeben. Auf der Handlungsebene fehlt es sogar innerhalb der jeweiligen „Geschichten“ an einem Konflikt, obwohl immer darauf hingewiesen wird, dass es genügend Material für diesen gäbe – doch dieses Potential wird immer wieder suspendiert. Die Handlungsebene stiftet in diesem Text also nicht die semantische Kohärenz und auch keine Entwicklung. Eine weitere Differenzierung der einzelnen Teile wird durch jeweils stark unterschiedliche narrative Strukturen gesichert – die lineare, eher traditionelle Erzählweise des I. Teils, die Entropie des II. und zuletzt die ausgeprägte Selbstreflexivität und Künstlichkeit des III. Teils. Damit kontrastieren die einzelnen „Geschichten“ auf sehr vielen narrativen Ebenen, und dies bedeutet, dass man die ausgeprägte Differenziertheit dieser Teile nicht ernst genug nehmen kann, da diese Differenziertheit offenbar überaus systematisch eingerichtet wurde.
Der einzige thematische Faden, der alle drei Teile durchzieht, ist der Donelaitis-Stoff, der jeweils in anderer Form und anderer Ausführung durch die jeweiligen Aktanten auf verschiedene Weise aktualisiert wird. Im I. Teil erscheint er als musikalische Notizen, als Handlungsentwürfe, als durch philologische Forschungsarbeit ermittelte biographische Fakten, die in eine lineare Erzählung eingebunden werden sollen und aus denen eine Oper entstehen soll. Im II. Teil nähert sich Potschka der Donelaitis-Thematik durch die imaginierenden, visionären Träume, die ihn an die Schwelle des Ich-Verlustes führen. Und im III. Teil lesen wir eine inszenierte Erzählung, die eine Szene aus dem Leben von Donelaitis schildern soll, bei der gerade der Akt des Erzählens und die Fiktionalität des Erzählten betont werden. Diese können vorerst als drei unterschiedliche Auseinandersetzungen oder „Annäherungsversuche“ an die Donelaitis-Thematik verstanden werden.
Einen expliziten Schlüssel für die Rolle dieser Donelaitis-Passagen und die Funktion der kontrastierenden „Geschichten“ sowie für die eigentümliche Struktur des Textes erhalten wir erst im letzten Absatz des letzten Kapitels, in dem wir mit einem fast vollkommen aufgelösten narrativen Raum konfrontiert werden, mit einer Art leerer narrativer Matrix, einem Raum von narrativen Minimalvoraussetzungen, in dem weitgehend nur durch ihre Substanz teilweise differenzierbare, narrativ unmarkierte Stimmen vernommen werden können und in dem Handlungsort und Zeit nicht mehr festlegbar sind, weil ihre Grenzen überschritten werden.
In diesem Kapitel reduziert Bobrowski die narrative Struktur auf ein absolutes Minimum. Hier münden die vorher angedeuteten Auflösungen und Amalgamierungen von narrativen Kategorien ineinander – und zwar in einen Chor von Stimmen. Keiner von den zentralen Handlungssträngen wird hier explizit aufgenommen oder abgeschlossen. In der Formulierung von John Wieczorek: “[T]he 1936 plot virtually dissapears behind the construction of a fictional trigonometric tower“.[160] Wenn in Passagen der vorigen Kapitel die Differenzierbarkeit zwischen Figuren und Stimmen aufgehoben und eine asymmetrische Kommunikation zwischen dem Erzähler und den Figuren angedeutet wurde, dann geht es hier noch einen Schritt weiter. Die Stimme des Erzählers ist nun auch nicht mehr von der von den Figuren zu unterscheiden. Es besteht eine angedeutete symmetrische Kommunikation zwischen Erzähler und Figur, und die Spuren des Erzählers sinken über längere Passagen auf Null.
Der Raum und die Zeit werden zu purer Ambivalenz. Es können nur Stimmen vernommen werden, die nicht an einen narrativen Körper – nicht an den der Figur und auch nicht an den des Erzählers – gebunden sind. Raum und Zeit setzen ihnen keine Einschränkungen oder Grenzen; Handlung verpflichtet sie nicht zu Sukzessivität oder anderer Kontinuität. Zu diesem Zustand äußert sich Gerhard Wolf:
Das Geschehen verläuft nicht linear durch die Zeit, sondern im Raum der Landschaft – vom trigonometrischen Punkt aus sichtbar. Raum wird auf Zeit bezogen, Zeit auf die Menschen, so daß die Gestalten über Zeiträume hinweg durch das Medium des Erzählers miteinander reden.
Das angedeutete Pfingstwunder des Zungenredens erlebt hier eine Kulmination, in der die Grenze zwischen der Erzählvermittlung und der Darstellungsebene, die Differenzierbarkeit zwischen Figur und Erzähler, nun über einige Passagen vollkommen wegbricht. Der Erzähler versetzt sich in die Figur Potschka.[162] Die Stimmen schwirren um den nicht existierenden „trigonometrischen Punkt“ wie vibrierende Töne um eine Saite.
Zur Raumkonstruktion des Romans gibt es zwei auffällige Signale, die der Erzähler liefert. Zum einen ist es der Hinweis: „Sahen wir ihn [Potschka] eben nicht auf den Berg?” , womit der Erzähler auf eine weitere Inkonsistenz in der Zeit-Raum Konstruktion ausdrücklich aufmerksam macht. Zum anderen ist der „trigonometrische Punkt” eine klare Auseinandersetzung mit der Struktur des Romans in Bezug auf die Aufhebung einer räumlichen Kontinuität. Hier wird ein Ausgangs- oder Bezugspunkt, anhand dessen man die Stimmen der Figuren, des Erzählers, ihre Perspektivenwechsel und überhaupt die Dimensionen dieser narrativen Welt bestimmen oder differenzieren könnte, gerade nicht gegeben. Z. B. erlangt die Konstruktion der Szene, wo Voigt und Gawehn bei Potschka zu Gast sind, schon fast groteske Züge des Künstlichen. Dies besonders dann, wenn man den Kontrast zu der Figur Potschkas und zu der im unteren Geschoss sogar sprachlich vernehmbaren Nazi-Versammlung und der Probe des Festspiels in Betracht zieht. Zum Ohrenschmaus für die Gäste kommt dann noch der Gesang der Frau Fröhlich hinzu – was schon etwas kafkaesk anmutet.
Inmitten dieser strukturellen Auflösungen erklettert Potschka das imaginierte Holzgerüst, das als der „trigonometrische Punkt“ bezeichnet wird – er verfällt zum zweiten Mal in seinen visionären Traum, aus dem er durch die Rufe seiner Tuta zurück ins Leben „gerufen“ wird. Er erwacht mit einer Einsicht, die er mit dem Erzähler teilt:
Hingehen, das geht nicht mehr. Hingehen nicht.
Jetzt spricht er [Potschka], langsam, mit einem Mund, der das Sprechen
erlernen, mit einer Stimme, die ihre Laute noch finden wird, heute oder morgen:
Herrufen, hierher. Wo wir sind.
Das „Hingehen“ ist natürlich bezogen auf die auf der Grenze zum Ich-Verlust balancierenden Versuche Potschkas, sich in Donelaitis hineinzuversetzen, zu dem nun eine Opposition aufgebaut wird – das „Herrufen“ – mit einer „Stimme, die ihre Laute noch finden soll“. Also durchläuft Potschka als einzige Figur im Roman eine Entwicklung – er wird „belehrt“.
Die letzte Zeile erlangt eine sehr starke Betonung: sie enthält den Schlussatz.
Die Metapher des trigonometrischen Punktes ist offensichtlich ernst gemeint, denn mit der Einsicht, die Potschka von diesem Punkt quasi herab auf die Erde bringt - der Kategorie des „Herrufens“ - kann man den Text tatsächlich neu „bemessen“, ordnen, die zur graduell zunehmenden Auflösung parallel aufgebaute neue Struktur erkennen.
Wenn man nun von der Handlung der jeweiligen Teile ein wenig abstrahiert, so erkennt man, dass es sich bei diesen drei Geschichten um drei Versuche handelt, sich dem im ganzen Roman verstreuten Donelaitis-Stoff zu nähern. Wenn man die Donelaitis-Passagen der drei Teile nebeneinander legt, so sieht man, dass sich manche Szenen aus dem Leben von Donelaitis im I. und im II. Teil wiederholen – die Erwähnung der Stube Litera C, das „Hungerduett“, der Barometer- und Klavierbau. Diese werden in zwei unterschiedliche Modi erzählt. Doch diese fiktiven und biographischen Partikel aus dem Leben von Donelaitis münden nicht in einer kohärenten Erzählung, einer Entwicklung oder einer Linearität. Und das ist auch offensichtlich nicht das Bestreben dieser Geschichten oder des Romans im Ganzen.
Ahnlich wie im Fall von Un drame bien parisien zeigt die auf die Handlungsebene ausgerichtete „Geschichte“ der dargestellten Welt unübersehbare logische Probleme. Ich bin der Überzeugung, dass auch in Litauische Claviere dies als ein indexikalisches Zeichen dafür steht, dass die „eigentliche“ Geschichte, die diese erzähllogischen Differenzen überquert, auf der Ebene der Erzählvermittlung gesucht werden müssen.
Die Beschreibung der im Kapitel zu Litauische Claviere angedeuteten Entwicklung eines den gesamten Text verbindenden Geschehens auf der Vermittlungsebene ist aber aus den im theoretischen Kapitel vorgeführten Gründen nicht unproblematisch. Vor allem aber, weil der Erzähler in den Beschreibungsmodellen der Narratologie zu sehr auf seine „Vermittlerfunktion“ reduziert wird.
An den von Nünning erfassten metanarrativen Erzähleräußerungen erkennen wir einen bedeutenden Teil der Mittel, die dazu eingesetzt werden können um auf der Vermittlungsebene eine Entwicklung zu demonstrieren. Diese kann also an seinem eigenen Erzählen und Veränderungen in dessen Modi vorgeführt werden. Im Fall von Litauische Claviere wird dies vor allem an der steigenden Dominanz der Erzählillusion, die im letzten der drei Teile ihren Höhepunkt erreicht, vorgeführt.
So entwickelt sich das Hauptthema des Textes, welches alle drei Teile verbindet, auf der Metaebene - aus der kontrastierenden, einander kommentierenden und mit einander konkurrierenden Konstellation der drei Erzählmodi (die sich in unterschiedlichen Weltsichten, Herangehensweisen und Erzählstrategien in den jeweiligen Teilen zeigen). Sie alle verfolgen das eine Ziel, einen Weg zu finden, wie über Donelaitis (eine historische Figur also) erzählt werden könnte, was ein angemessenes narratives Medium dafür wäre und wie es beschaffen sein könnte. Es ist eine Art „Erzählertätigkeit“, die sich als die inszenierte Erprobung und Suche nach einer Stimme oder Sprache für das Erzählen beschreiben ließe – als Stimmfindung. Es ist ein erzähltes Erzählen über Donelaitis, oder zumindest ein Anlauf dazu. In diesem Zusammenhang schreibt Ernst Ribbat:
Die gültige Sprache, der authentische Ausdruck von Welt und Ich, so wird dem Leser zu verstehen gegeben, ist noch nicht gefunden, muß noch erschlossen werden, und das poetische Werk kann nicht mehr leisten, als den Beginn eines solchen Sprechens zu signalisieren.
Ahnliches finden wir in einer expliziten Form im Anfangskapitel von Levins Mühle in den selbstreflexiven metadiegetischen Aussagen des Erzählers vor. Nur wird hier diese Erzählertätigkeit impliziert, auf die Metaebene verschoben, die das überaus bewegliche Rückgrat der Litauischen Claviere bildet und auf der diese drei Geschichten eigentlich erst zu einem „Roman“ (im weiteren Sinne), also einem zusammenhängenden Text werden.
In dieser inszenierten Form wird also nach einem Weg, der das „Herrufen“ von Donelaitis ermöglichen könnte gesucht, nach einer „belebenden“ Stimme, und uns werden drei narrative „Aufführungen“ solcher Versuche vorgeführt.
Der erste Versuch – unternommen von Konzertmeister Gawehn und dem Philologen Voigt – scheint an dem gewählten Medium selbst zu scheitern, einer Oper, die wohl die mittelbarste und künstlichste Ausdrucksform ist, die der Roman uns bietet. Hier finden wir dann auch den Konflikt des I. Teils. So wirken auch die Donelaitis-Passagen leblos, eher verfremdend, und der Versuch scheint schon im Entwurfstadium der Oper zu scheitern, obwohl vieles sogar bis in Details festgelegt wird – wie der Umstand, dass Donelaitis Rolle von einem Bariton übernommen werden soll. Dieser kommt aber nicht zum Singen, denn in diesem ersten Teil, oder im ersten Modus, lässt sich keine „Stimme“ für Donelaitis finden. Die Vergangenheit bleibt hier tatsächlich „ohne Gehör“.
Im Versuch Potschkas sehen wir hingegen ein anderes Extrem vorgeführt: eine Unmittelbarkeit, die ihn durch das empathische, visionäre Hineinversetzen bis an die Grenze des Ich-Verlusts führt. Auch in diesem Modus gelingt es Potschka nicht, eine „Stimme“ zu finden. Eher wird er selbst von der Stimme des Donelaitis übernommen. Auch dieser Versuch, sich in die Vergangenheit hineinzuversetzen – das „Hingehen“ – scheitert.
Und dann ist der Erzähler an der Reihe – der Dichter. Und dieser scheint von und mit den anderen Aktanten zu lernen, denn die Reflexion über die gehörlose Vergangenheit wird eben im VIII. Kapitel widerlegt. Wie schon angedeutet, wird im Roman ständig auf diverse Grenzen und deren Überschreitung hingewiesen – sowohl thematisch als auch strukturell. So zum Beispiel darin, dass Figuren und die Sprache des Erzählers die Grenzen der einzelnen drei Geschichten queren. Und gerade um diese Grenzüberschreitung scheint es sich hier zu handeln – um das „Herrufen“ des Vergangenen, um sein beleben. Das vermag aber nur eine „Stimme“, und wir finden im Roman zahlreiche Reflexionen darüber, dass diese dem literarischen Text vorbehalten ist. Die letzten drei Kapitel stellen eine Zuspitzung dessen dar, was Bobrowski selbst als das Hausrecht des Autors bezeichnet hat. Sobald der Erzähler Potschka den imaginierten (was immerzu im Text betont wird) trigonometrischen Turm erklettern lässt, wird das VIII. Kapitel eingeblendet, das dieses „Herrufen“ exemplifiziert.
Das Bestreben dieser Stimme stellt auch den Konflikt des Romans dar, der mitsamt der Entwicklung auf der metadiegetischen Ebene angesetzt ist – durch die dreigeteilte Struktur des Romans und der diesen Teilen impliziten narrativen Tätigkeit.
Der Roman Litauische Claviere setzt sich noch tiefgründiger und eindringlicher mit der Repräsentationsproblematik auseinander. Die Versuche der jeweiligen Figuren, über Donelaitis auf verschiedene Art und Weise zu erzählen, ihn zu „repräsentieren“, stellen auch gleichzeitig auf der Ebene des Erzählvorgangs verschiedene Versuche Bobrowskis dar, diesen Stoff zu handhaben. Das Erzählen in den Litauischen Clavieren ist ein inszeniertes, und zentrales Problem und Thema des Textes ist das Erzählen selbst.
Trotz der betont künstlerischen (und künstlichen) Einführung des Kapitels wirkt die fiktive Szene aus dem Leben von Donelaitis sehr „lebendig“. Donelaitis erscheint hier zum ersten Mal als Figur und nicht als Nacherzählung oder Stimme. Er ist in der Romanwelt präsent; die Stimme des Erzählers setzt ihn über die Grenzen von Zeit und Raum hinweg. So finden wir hier zudem auch einen Kommentar über die Literatur als Medium und über das literarische Erzählen, das eben als solcher grenzaufhebender „Raum“ definiert wird, in dem die Grenzen zwischen Vergangenheit und Gegenwart überquert werden können, in dem Vergangenem eine Stimme verliehen werden kann. Ernst Ribbat schreibt dazu:
Die Sprachbewegung führt hinaus über das vor zehn Jahren von Bobrowski Geschriebene, sie sucht – man könnte dies einen testamentarischen Akt nennen – nach Vollendung durch die Nachlebenden, die wie der Erzähler, und über seine Möglichkeiten hinaus, die Integration geschichtlicher Gestalten und Taten in die Gegenwart zu leisten hätten, damit eine humane Zukunft möglich wird.
Es bleibt die Frage offen, ob dieser Konflikt der Sprach- oder Stimmfindung im Roman gelöst wird. Jedenfalls erhalten wir einen („testamentarischen“ ) Hinweis, eine Art Einladung an den Leser. Damit mündet die offene Form des Textes in der Markierung der angefangenen, aber noch unabgeschlossenen „Sprachfindung“.
Wir erhalten vom Erzähler hier gewissermaßen einen „trigonometrischen Punkt“ für weitere Vermessungen der „Landschaft“.
Landschaft mit Leuten, S. 68
Wieczorek (1999), S. 190, 191.
Vgl. dazu Haufe (1994), S. 60ff.
Wieczorek (1999), S. 191.
Ebd., S. 190.
Landschaft mit Leuten, S. 688f.
Vom Hausrecht des Autors, S. 4
Wie z. B. schon in Es war eigentlich aus, wo mit extremen Kontrasten, Raffungen und Dehnungen der Erzählzeit und erzählter Zeit gespielt wird.
Das er selbst „so etwas wie eine Kriegsverletzung“ nannte (Ansichten und Absichten, S. 39).
Meinen Landsleuten Erzählen, was sie nicht wissen, S. 57.
Levins Mühle, S. 9.
Williams (1991), S. 257.
Levins Mühle, S. 9.
Levins Mühle, S. 29.
Ribbat (1996), S. 11.
Keith-Smith (1970), S. 53.
Roland Barthes, zit. n. Martínez/Scheffel (2007), S. 117.
Faensen (1967), S. 92.
Levins Mühle, S. 9.
Degen (2004), S. 216.
Levins Mühle, S. 9.
Ebd., S. 9, 10.
Wieczorek (1999), S. 195.
Daurauf verweist der seinerseits nicht ganz ideologiefreie Text Dehn/Dehn (1972), S. 30.
Levins Mühle, S. 112.
Martínez/Scheffel (2007), S. 13ff. Vgl. auch Nünning (2001a), wo darauf hingewiesen wird, dass Metanarration, sogar Falle der metafiktionalen Funktion, keineswegs zwangsläufig mit Illusionsbruch gleichgesetzt werden kann.
Levins Mühle, S. 10.
Ebd.
Ebd., S. 10, 11.
Benannte Schuld, gebannte Schuld?, S. 15, 16, 17.
Kähler (1965), S. 631.
Man könnte hier von einem ´unziverlässigen Erzähler´ im Sinne Nünnings reden.
Wieczorek (1999), S. 196.
Meyer (2005), S. 5.
Levins Mühle, S. 9.
Ebd.,S. 13.
Ebd., S. 5
Ebd., S. 159.
Levins Mühle, S. 79.
Ebd.
Levins Mühle, S. 222.
Wieczorek (1999), S. 196.
Und diese 34 Sätze sind keineswegs als tasten „nach adäquaten Formen“ zu verstehen, wie es bei Alfred Kurella steht (Johannes Bobrowski, in: „Der Sonntag“, Berlin, 05.09.1965), denn dieser Struktur steht eine viel größere Rolle im Aufbau des Romans zu. Wenn es ein „Tasten“ ist, dann wohl ein inszeniertes. Jedoch würde ich vorsichtig sein mit der Denunzierung der „Unschlüssigkeit“ des Erzählers, die Gerhard Wolf, sich auf diese Passage von Kurella beziehend, von der Hand weisen möchte (Wolf 1967, S. 74), denn mehrfach wird diese in die Erzählhaltung eingelassen.
Meckel (1989), S. 56.
Scrase (1995), S. 55.
Levins Mühle, S. 202.
„Die Geschichte hätte an so vielen Orten und in so vielen Gegenden passieren können, und sie sollte hier nur erzählt werden. In vierunddreißig Sätzen. Da stehen also noch vier Sätze aus.“ Ebd. S. 222.
Die Geschichte soll „einen Modellfall für das Verhalten der Nationalitäten untereinander“ darstellen, zitiert nach Dehn/Dehn (1972), S. 47.
Levins Mühle, S. 156.
Ebd., S. 203.
Levins Mühle, S. 203.
Ebd., S. 123.
Vgl. dazu Heinrich von Kleists Das Erdbeben in Chili.
Levins Mühle, S. 122.
Litauische Claviere, S. 331
Levins Mühle, S. 123
Wieczorek (1999), S. 201.
Levins Mühle, S. 12
Ebd., S. 12
Ebd., S. 122.
„Onkel Dowid, der Kinderlehrer, schreibt mit seinem Stock Zeichen auf die Dielenbretter. Die wird niemand lesen. Er sitzt im Haus, alt, und erhebt das Gesicht. In dieser Welt, sagt er, gehen die Gesetze umher und stehen in unseren Stuben und haben große Augen und lange Ohren und sagen: Es ist Trennung und ist keine Gemeinschaft. […] In der anderen Welt werden wir sehen die Getrennten, sie stehen beisammen und haben die Arme umeinandergelegt.“ Ebd., S. 203.
Ebd., S. 12
Ebd., S. 168.
Ebd., S. 203.
Ebd., S. 168.
Ebd.
Wie man es leicht erkennt, ist die Intertextualität von „Levins Mühle“ ein weites Feld. Eine ausführlichere Auseinandersetzung zu diesen und weiteren Bezügen bietet Lerchner
Levins Mühle, S. 169.
Ribbat (1996), S. 13.
Ebd.
Koczy (1989), S. 35.
Levins Mühle, S. 169.
Ebd., S. 172.
Ebd.
Litauische Claviere, S. 112.
Levins Mühle, S. 173.
Ebd., S. 9.
Ebd., S. 25.
Ebd., S. 26.
Wieczorek (1999), S. 198.
Levins Mühle, S. 15.
Ebd., S. 59.
Ebd.
Ebd.
Ebd. S. 9
Wieczorek (1999), S. 199.
Faensen (1967), S. 92.
Levins Mühle, S. 95.
Ebd.
Ebd., S. 81.
Ebd., S. 159.
Ebd.
Ebd.
Ebd., S. 207, 208.
Ebd., S. 208.
Streller (1967), S. 115.
Levins Mühle, S. 81.
Um die es Bobrowski “wie mehr oder minder jedem Poeten“ geht, vgl. Positionsbestimmungen.
Levins Mühle, S. 68.
Ebd., S. 91.
Ebd., S. 92.
Ebd., S. 222.
Ebd.
Ribbat (1990), S. 50.
Levins Mühle, S. 9.
Ebd., S. 119.
Fabritz (2005), S. 77.
Benannte Schuld – gebannte Schuld, S. 15.
Levins Mühle, S. 126.
Erzählen, was man nicht weiß.
Wolf (1967), S. 76.
Scholz (1964).
Positionsbestimmungen, S. 52.
Bauer (1990), S. 88.
Ebd., S 89.
Vgl. dazu Albert (1990).
Fabritz (2005), S. 77.
Bosse (1967).
Degen (20049; S. 273.
Vgl. dazu Aristoteles (2006).
Formen, Fabel, Engagement, S. 71.
Behre (2005), insbesondere S. 89ff.
Litauische Claviere, S. 7.
Keith-Smith (1970), S. 55.
Litauische Claviere, S. 41.
Ebd., S. 103.
Landschaft mit Leuten, S. 763ff.
Ebd., S. 766.
Litauische Claviere, S. 10.
Wolf (1975), S. 34
Litauische Claviere, S. 10.
Ribbat (1996), S. 1
Litauische Claviere, S. 10.
Weber (1968), S. 49.
In der Ermordung von Warschocks, die kurz davor stattfindet, sehen wir eine augenscheinliche Zuspitzung des nationalen Konflikts, welcher nun eine gewaltsame und bedrohliche Form angenommen hat.
Litauische Claviere, S. 112.
Rezension eines anonymen Vefassers in London Times Literary Supplement (22. September 1966) zu Litauische Claviere beklagt, dass es an „Witz“ fehle.
Litauische Claviere, S. 76.
Ebd., S. 48.
Ebd.
Ebd., S. 45.
Ebd., S. 48.
Brazaitis (1988), S. 190.
Leistner (1981), S. 112.
Degen (2004), S. 292.
Litauische Claviere, S. 157.
Hinze (1989), S. 276.
Behre (2005), S. 82.
Litauische Claviere, S. 58.
Litauische Claviere, S. 96.
Ebd., S. 79.
Ebd., S. 118.
Scrase (1995), S. 116.
Litauische Claviere, S. 103.
Ebd., S. 103, 10
Litauische Claviere, S. 10
Ebd., S. 105.
Wieczorek (1999), S. 219.
Eco (1998), S. 61 – 82.
Wieczorek (1999).
Wolf (1967), S. 109.
Ebd.
Litauische Claviere, S. 79.
Litauische Claviere, S. 118.
Ribbat (1990), S. 53.
Litauische Claviere, S. 311.
Ebd.
Vom Hausrecht des Autors, S. 4
Ribbat (1977), S. 53.
Ebd.
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